Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Frischluft hinein, überwältigt von dem Gefühl, wahrhaftig wiedergeboren zu sein. Kein Wunder, war mir doch in den vergangenen Stunden so viel Aufregung widerfahren wie in dem ganzen zurückliegenden Jahr nicht. Mit dem Betreten des grünen Paradieses schien ich aber jetzt nicht nur alle körperlichen Gefahren und unappetitlichen Mordfabeln, sondern meine ganze muffelige Vergangenheit hinter mir gelassen zu haben. Ich verspürte plötzlich kein gesteigertes Bedürfnis mehr, in die Gustavsche Kuschelecke zurückzukehren und meine Libido zu Nußmus quetschen zu lassen. Andererseits hatte ich auch keine große Lust, meinen Beteuerungen nachzukommen und einer chronisch hungrigen Dogge und einem Standesgenossen mit dem einnehmenden Wesen eines Nosferatu ihre Rechte vorzulesen, bevor ich sie einer beidäugig blinden Justiz überstellte. Nein, meine Zukunft, das zweite Leben von Francis, sollte sich wie dieser glückliche Moment gestalten: licht, naturverbunden und unbeschwert.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Baches erregte ein junger Baum meine Aufmerksamkeit, dessen Knospen bereits zur vollen Entfaltung gekommen waren. Seine rosaroten, glockenförmigen Blüten sandten Signale der puren Lebensfreude aus, und die filigranen Äste wippten im warmen Wind wie beschwörende Gesten von Engeln. Da ich in den Gewässern der Kanalisation unfreiwillig eine Überdosis Flüssigkeit zu mir genommen hatte, fühlte ich, der frisch gebackene Naturfreund, das dringende Verlangen, diesem Kleinod der Wildnis meine Ehre zu erweisen und seinen Fortbestand mittels biologisch abbaubarer Düngung zu sichern. Rasch trippelte ich über die moosbewachsene Esche zum anderen Ufer des Baches und eilte über Außenwurzeln jahrhundertealter Baummethusalems zur Bewässerungsstätte. Als ich endlich am Ziel eintraf, die Blase vor lauter Vorfreude bereits in vorzüglicher Entspannung begriffen - explodierte der Baum.
Zunächst glaubte ich an eine optische Täuschung, dann an ein Naturwunder und schließlich an irgendeinen inszenierten Hokuspokus, den Safran und Niger zur Belustigung aller veranstaltet hatten. Ich sah, wie der Mitteilteil des armdicken Stammes in tausend Splitter zerbarst, wodurch der Ästeschopf umknickte, seitlich heruntersegelte und so nur mehr einen dünnen Stumpf hinterließ. Phänomenal, der schöne Baum war regelrecht zerplatzt wie ein vielversprechender Traum nach dem Rasseln des Weckers. Eine Millisekunde später jedoch entsann ich mich, daß ich zwar das Zersplittern des Holzes unmittelbar, den Krach der Explosion aber von weit abseits vernommen hatte. Mir drängte sich ein beklemmender Verdacht auf ...
Ich riß den Kopf zur Seite und blickte mich furchtsam um. Als seien es Schnappschüsse, registrierte ich in rascher Folge eine Reihe von Ansichten der unberührten Landschaft, in der es plötzlich von prähistorischen Riesenechsen und geheimbündlerischen Druiden zu wimmeln schien. Oder war alles bloß eine Fata Morgana, verursacht durch Ermüdung und Streß? Aber der Baum vor meiner Nase war wirklich explodiert, das konnte ich beschwören. Sollte ich andernfalls mitten am hellichten Tag von einem derart unmöglichen Gaukelbild genarrt worden sein, gehörte mein ach so begnadeter Verstand schleunigst entsorgt. Dessenungeachtet fahndete ich in fiebriger Erregung weiter nach einer rationalen Erklärung - bis ich sie endlich fand.
Der Hort des Bösen ragte in gebührender Entfernung hinter einem Tümpel empor. Er bildete zwar mit dem Licht-Schatten-Flickenteppich des Gehölzhintergrundes eine optimale Einheit, doch mußte er normalerweise selbst für jemanden mit mittelmäßiger Sehstärke noch gut erkennbar sein. Daß er mir nicht gleich aufgefallen war, lag einfach an meinen überhitzten Nerven, die wohl mit etwas total Übernatürlichem gerechnet hatten. Dabei handelte es sich bei meinem Fund lediglich um einen Klassiker der altehrwürdigen Pirscherei: ein Hochsitz, offiziell ein Turm zur Beobachtung des sogenannten Wildes, in Wahrheit jedoch ein gemeines Versteck für Hobbymörder. Auf diesem Hochsitz stand eine hochgewachsene Gestalt, die mich mit einem Feldstecher sehr konzentriert im Auge behielt. Unheilschwangere Schatten hüllten sie ein, durch die die Spiegelungen der Feldstechergläser wie die glühenden Augen eines Wolfes in der Nacht hervorstachen. Hätte aber nicht ein schwacher Lichtreflex meine Aufmerksamkeit erregt, hätte ich die Gestalt trotzdem übersehen. Das kurze Aufblitzen kam von dem Lauf des
Weitere Kostenlose Bücher