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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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dieser irrwitzigen Kreatur von meinem ganzen Wesen Besitz ergriffen, ich wäre gewiß augenblicklich in Ohnmacht gefallen. Er war der gigantischste Rote Perser, den ich je gesehen hatte, ein Titan, ein Saurier aus dem Märchenreich, wo man es mit den Dimensionen von Tieren nicht allzu genau nimmt. Auch er besaß keine Augen. Doch diesmal entsprach der Befund der buchstabengetreuen Wahrheit. Beide Augäpfel waren ihm von einem noch schlimmeren Ungeheuer ausgestochen worden. Aber statt zusammenzuschrumpfen, hatten sich die Augenhöhlen noch weiter ausgedehnt, so daß sie wie von Schlagschatten umspielte Krater auf einem gespenstischen Planeten wirkten. Der linke, total vernarbte Maulwinkel lag im Bereich des Jochbeins, da er durch eine perverse Operation, höchstwahrscheinlich durch einen Messerschnitt, bis zum Anfang des Oberkiefers nach oben hin erweitert worden war. Aufgrund dessen hing ihm der Unterkiefer schief herunter, und der stets offene, Sabbersturzbäche produzierende Rachen entblößte zwar ein vollkommen ramponiertes, nichtsdestoweniger die Gefährlichkeit von Schlachtbesteck ausstrahlendes Gebiß. Der für den Perser typische Langhaarpelz wies großflächige kahle Stellen auf, wo die Haut eingeschrumpelt war, vermutlich die Folge von schweren Verbrennungen. Rhodos war eindeutig das Opfer barbarischster Mißhandlungen, die von der niedrigsten Tierart auf Erden begangen worden waren, welche sich jedoch rätselhafterweise selbst immer als die höchste einstufte. Dessenungeachtet schien das erlittene Martyrium seiner Charakterbildung eine verblüffende Wendung, gegeben zu haben. Anstatt nämlich die Haltung eines einsichtigen Pazifisten einzunehmen, zog er lieber die stumme Rolle des Scharfrichters vor. Denn wenn dieses bestialisch stinkende, ganz offensichtlich hochgradig verrückte und den Liebreiz einer Planierraupe ausstrahlende Fleischgebirge kein eiskalter Killer war, dann war ich ein schneeweißer Pudel mit kahlrasiertem Arsch.
    Rhodos durchtrampelte die freigemachte Bahn bis zum bitteren Ende, verriet dabei immer erschreckendere Details seiner vielfältigen Deformationen und machte dann schließlich vor mir halt. Die unbeholfene Bremsung rief auf seinem Walroßkörper einen letzten konfusen Wellengang des Fettgewebes hervor, so wie die Brandung auseinanderbirst, wenn sie sich an den Felsen bricht. Ich sah nun geradewegs zu den kohlschwarzen Fleischhöhlen in seinem zerschundenen Gesicht auf, die an prähistorische Grabkammern erinnerten. Diese Abgründe schienen meinen ganzen Verstand in sich aufzusaugen. Gleichzeitig hatte ich irgendwie das Gefühl, als bestaunte ich eine verfallene Kathedrale aus der Sicht eines kleinen Touristen, der ich in einem verdrehten Sinne ja auch war.
    »Sieh dir gut an, was die Menschen aus ihm gemacht haben!« sagte der Alte, dessen Erscheinen ich Minuten zuvor für den nicht mehr zu übertreffenden Horror gehalten hatte. Im Vergleich zu dem Mammut vor meiner Nase wirkte er jetzt jedoch wie ein possierliches Stofftier für das Kinderprogramm.
    »Und sieh dir an, was sie aus uns gemacht haben. Wir können leider nicht mehr sehen. Aber man braucht keine Augen, um zu erkennen, daß weder der Löwe noch der Gepard die gewalttätigsten Tiere in dieser Welt sind. Dann kannst du vielleicht verstehen, weshalb wir mit allen Mitteln verhindern müssen, daß sie uns entdecken. Sieh ihn dir gut an, mein Freund, denn ich fürchte, es wird das letzte sein, was du je sehen wirst.«
    Also gut, die Typen meinten es ernst. Wenn dem jedoch so war, was hatte es dann für einen Sinn, weiterhin in Furcht zu verharren? Sie würden mich so oder so abschlachten. Doch Sterben ohne Gegenwehr, das Ertragen der eigenen Hinrichtung in Demut und Angst, das war die wahre Schmach, eines Francis' unwürdig. Nein, ich wollte sterben wie ein Mann mit eisenharten Nüssen, nicht wie eine schlotternde Memme, deren letzte aggressive Tat das Abfeuern eines säuerlichen Furzes in die Erdatmosphäre sein würde. Und ganz realistisch betrachtet, standen die Karten für mich gar nicht mal so schlecht. Immerhin waren die Mistviecher blind, und bei einer unerwarteten mutigen Reaktion meinerseits bestand durchaus die Möglichkeit, daß sie sich in wilder Verwirrung verloren. Außerdem mochte ich vielleicht mit ihrer Mordlust nicht Schritt halten können, doch war ich ihnen zweifelsohne athletisch überlegen. Mannigfaltige Krankheiten und Gebrechen zeichneten sie; durch minderwertige und einseitige Ernährung litten

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