Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Francis?«
»Das Paradies«, antwortete ich. Er trabte bis zu der Felsspalte und drehte sich dort noch einmal zu mir zurück. In dem von draußen hereinströmenden trüben Licht wirkte er wie ein Gespenst oder genauer wie der tatsächlich Letzte seiner Art.
»Ja, das Paradies ... Mich zieht es zu meinen Leuten, mein Freund. Obwohl ich keine Ahnung habe, wo ich sie finden kann, will ich sie suchen bis an mein Lebensende. Das wird wahrscheinlich schneller kommen als gedacht, weil die Verhältnisse auf diesem Kontinent wahrhaftig alles andere als, na sagen wir, de Luchs sind. Doch die Suche wird meinem Leben einen neuen Sinn geben, und die Hoffnung wird mir Kraft spenden. Und wer weiß, vielleicht treffe ich eines Tages wirklich einige meiner Brüder und Schwestern, und wir ziehen dann gemeinsam eine Pelzfarm in großem Stil auf - mit den Häuten besonders behaarter Exemplare des Homo sapiens versteht sich. Lebe wohl, Francis, kleiner Klugscheißer! Verlasse diese Höhle, diesen Wald, diese ganze verfluchte Umgebung und lauf so schnell du kannst zu deinem Herrchen zurück. Sonst besteht die Gefahr, daß irgendwelche echten Monster mit deinen Gedärmen Seilspringen veranstalten.«
Er wandte sich ab und wollte gehen.
»Nur eins noch!« rief ich ihm hinterher.
Er schaute zurück.
»Wurdet ihr nach eurer Ankunft in dem Käfig gefangengehalten, der verwittert im Wald steht?«
»Nein. Unserer wurde schleunigst wieder abgebaut, als man sich den Fehlschlag mit dem Luchs-Projekt eingestehen mußte.«
»Also wurden nicht nur Luchse ausgewildert?«
»Nein«, sagte er mit einem schelmischen Unterton in der Stimme, zwinkerte mir zu und verschwand durch die Spalte in den tosenden Regen. Noch einer, der dem Wald ade sagte. Und ich wollte ja auch lieber heute als morgen von hier weg. Wenn das so weiterging, bevölkerten nur noch Blattläuse und Gotcha-Spieler den Wald. Dennoch brannte in mir das Verlangen nach einer endgültigen Antwort wie eine pochende Wunde. Sicher, es sprach alles dafür, daß nur die blinden Stinkteufel aus der Kanalisation als Täter in Frage kamen. Aber wer sollte mir das mit letzter Gewißheit bestätigen?
Der Schwarze Ritter! Der echte war zwar tot, doch es gab da noch diesen begnadeten Schauspieler, der ihn so täuschend echt nachzuahmen verstand. Nur er allein konnte das Rätselraten beenden, weil er im Auftrage derer arbeitete, die das Rätsel in die Welt gesetzt hatten. Ich schloß die Augen, schaltete vollkommen ab und konzentrierte mich auf die Erlebnisse, die in den zurückliegenden Tagen auf mich niedergeprasselt waren. Ich ging im Kopf alles Phase für Phase durch und rekapitulierte jede noch so winzige Einzelheit. Oft war ich nahe daran, einen Zusammenhang, eine vermeintlich logische Beziehung zwischen den vielen Gestalten, die mir begegnet waren, herzustellen. Aber dann zerschlugen sich die Denkmodelle wieder, weil sie mir entweder zu weit hergeholt erschienen oder weil sie ganz offensichtlich unter Druck geborene Scheinerklärungen waren. Sich selbst zu betrügen, hatte aber keinen Sinn.
Als ich die Augen wieder öffnete, blickte ich geradewegs auf die Wandmalereien. Ich erinnerte mich an Gustav und daran, wie wir uns gemeinsam durch seine Fachliteratur gewälzt hatten. Natürlich hatte der Dummkopf von meinen Studien nie etwas gemerkt, weil ich immer so getan hatte, als schliefe ich auf seinen aufgeschlagenen Büchern. In Wirklichkeit hielt ich stets heimlich ein Auge offen und las und las und las. Die Darstellung des Mannes, der sich das Fell des Bären übergestülpt hatte, gefiel mir erneut vorzüglich. Es kam dem Trick des Schwarzen Ritters gleich. Womit wir wieder beim Thema waren.
Schwarzer Ritter. Schwarzer Ritter. Schwarzer Ritter ...
... Schwarze Tinte!
Schwarze Tinte? Wie kam ich plötzlich auf schwarze Tinte? Ach ja, Ambrosius benutzte schwarze Tinte für seine Kritzeleien. Deshalb. Und vor dem Waldhaus stand dieses Gehege für die Schafe, unter denen sich auch ein schwarzes Exemplar befand.
»Da fällt mir ein, ich habe so ein Tier schon einmal woanders gesehen. Es graste in der Nähe eines Menschenhauses mitten im Wald. Da waren viele davon, eine Herde könnte man sagen. Allerdings trug von ihnen nur eines die Farbe Schwarz.« Das war Zaches' letzte Bemerkung über das Reitvehikel des Schwarzen Ritters gewesen - bevor Ambrosius seine Hauer in unseren mitteilungsbedürftigsten Zeugen gerammt hatte. Seine Jagdlust war in dem Maße gestiegen, wie die Spitzmaus immer
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