Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
besaß fast das gleiche Motiv. Eine wildwuchernde Vegetation, aus der den Betrachter feline Augen anstarrten. Das konnte kein Zufall sein. Es mußte zwischen dem Gemälde und dem beklemmenden Ereignis, das sich gegenwärtig am Waldhaus abspielte, eine Beziehung existieren. Wie durch eine Eingebung entsann ich mich wieder der immer gleichen Aufschriften auf den leeren Aktenordnern in der Beobachtungsbaracke neben dem Auswilderungskäfig: PROJEKT ARCHE. Der gleiche Name, der auf der Satellitenschüssel am Waldhaus stand.
»... Unterstützt durch aufwendige F-F-Filtertechniken, sandte Arche farblich unterschiedlich schattierte Aufnahmen der Baumbestände in den jeweiligen Erkrankungsphasen aus ...«, hatte Ambrosius erläutert und hinzugefügt, daß diese Aufnahmen auf den Videokassetten in Dianas Atelier aufgezeichnet wären. Natürlich kannte ich mich mit diesen technischen Dingen wenig aus, doch vermeinte ich nun plötzlich in der sich höchst plausibel anhörenden Erklärung eine Unstimmigkeit entdeckt zu haben. Hielt man Satellitenbilder tatsächlich auf Video fest? Wurden nicht eher Fotoabzüge der Bilder gemacht, so daß man im Falle einer raschen Einsicht nicht erst den ganzen Film abspielen mußte? Wenn die Kassetten jedoch keine Entwicklungsphasen der Waldschäden beinhalteten, was war dann auf ihnen zu sehen? Und wie paßte der Satellit ARCHE in dieses komplexe Lügenkuddelmuddel hinein? So oder so, ich mußte mich beeilen, denn in dem Waldhaus ging etwas Furchtbares vor.
Als ich nach einem besinnungslosen Taumel durch den gesunden Teil des Waldes schließlich und endlich vor Dianas Haus angelangt war, wollte die dortige Szenerie nun so gar nicht der Vision gleichen, die mir während des Psi-trailings vorgeschwebt hatte. Weder sah ich zwielichtige Schattengestalten herumhuschen noch mich durchdringend fixierende Augenpaare. Die Hütte lag in vollkommener Dunkelheit da, bis auf das Fenster im zweiten Stock, hinter dem ich einen Tag zuvor Ambrosius beim Produzieren seiner literarischen Ergüsse beobachtet hatte. Die weiterhin wild wütenden Blitze verwandelten die Nacht in ein flackerndes Fotonegativ und erhellten das Haus sporadisch mit Schlaglichtern. Die Satellitenschüssel ragte in den Himmel empor wie eine die Elektrizität anlockende Apparatur Dr. Frankensteins. Das einzige, was an dieser schaurigen Kulisse noch so etwas wie Vertrautheit ausstrahlte, war das Gehege mit den Schafen. Eingeschüchtert von den Himmelsgewalten und vollkommen durchnäßt, drängten sich die Tiere ängstlich aneinander, um sich gegenseitig Wärme und Trost zu spenden. Was für eine herzlose Frau mußte Diana sein, wenn sie die armen Viecher bei einem derartigen Sauwetter einfach draußen ließ? Auch Schafe konnten sich eine Lungenentzündung zuziehen. Da fiel mir eine andere Erklärung ein. Sie war gar nicht zu Hause. Unternahm sie wieder ihre ausgedehnten Spaziergänge durch den Forst, wie Ambrosius einmal beiläufig bemerkt hatte? Und besaß sie eine solch eiserne Disziplin, daß selbst ein apokalyptischer Sturm sie davon nicht abzubringen vermochte?
Genaugenommen war jedoch die Abwesenheit der Hausherrin für mich nur von Vorteil. Denn so konnte ich unbemerkt eine gründliche Inspektion der Parterrewohnung vornehmen, die mir beim ersten Besuch verwehrt geblieben war. Danach erst würde ich ein ernstes Wörtchen mit Ambrosius reden. Ich sprintete aus dem Gehölz und eilte zur Holzveranda. Dort eingetroffen, hatte ich das Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Irgendwie fehlte ein Detail. Hatte ich nicht eine Nacht vorher einen anderen Weg wählen müssen, um an diese Veranda zu kommen? Natürlich, es war eine komplizierte Anschleichprozedur zur Rückfront des Hauses vonnöten gewesen, damit die Bewegungsmelder auf dem Dach keinen Alarm schlugen. Nun aber war gar nichts passiert, obgleich die elektronischen Spione mich längst hätten registrieren müssen. Offenkundig hatte man sie außer Betrieb gesetzt. Seltsam, seltsam ...
Das Fenster zum Atelier, worin sich das Riesengemälde auf der Staffelei und die Regale mit den unzähligen Videokassetten befanden, stand einen Spalt offen. Ein müder Satz, und ich war drin. Da diesmal nicht einmal die altersschwache Leselampe brannte, mußte ich mich an die kümmerlichen Lichtverhältnisse erst einmal gewöhnen. Gleichwohl stachen die diabolisch dreinblickenden Augen aus dem Waldtableau derart penetrant hervor, als habe die talentlose Künstlerin es tatsächlich fertiggebracht, ihnen,
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