Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
ergangen ist.«
»Nein, nicht nur deshalb. Ich konnte mich nicht bewegen beziehungsweise ich konnte mich nicht von meinem Platz erheben, da ich es in den zurückliegenden Minuten auch nicht getan hatte.«
»Vielleicht wolltest du dich nicht erheben, weil du an die Sache so felsenfest geglaubt hast. Und vielleicht handelte es sich bei den rückwärtslaufenden Uhren um eine Computerpanne, um einen Virus oder so etwas. Es dauerte schließlich nicht sehr lang, hast du gesagt.«
»Auch bei der Atomuhr aus dem Internet?«
Sancta, die mit Saphiraugen wie bei einem Tennismatch in schneller Folge zwischen uns hin- und herblickte, schien von Sorge erfüllt. Was ist bloß innerhalb eines Tages aus meinem vernunftbegabten, alten Francis geworden? Die Frage stand ihr groß in das herzförmige grausilberne Gesicht geschrieben.
»Okay, schwaches Argument.« Immerhin gab Junior es zu. »Kommen wir zur Interpretation der Dinge aus deiner Sicht. Die Zeit läuft rückwärts, nur merken wir es nicht. Was meinst du, wie sich das anhört?«
»Total bekloppt.«
»Genau. Aber nehmen wir mal an, es stimmt. Seit wann läuft sie rückwärts?«
»Keine Ahnung. Vermutlich schon seit Anbeginn der Zeit, das heißt seit ihrem Ende.«
»Und du bist der Einzige, der das durchschaut hat, wenn auch nur phasenweise. Dann frage ich mich allerdings, wieso ausgerechnet dir diese Ehre zuteilgeworden ist, Paps. Weil du der neunmalkluge Francis bist und wir die Doofen? Oder weil du von Gott oder einer höheren Macht dazu auserkoren bist, das schon Jahrmilliarden währende Komplott aufzudecken?«
»Nein, weil ich diesen Unfall hatte.«
»Du hattest keinen Unfall.«
»Jetzt nicht mehr. Er hat sich in der Zukunft ereignet. Da jedoch die Zeit rückwärtsläuft, das heißt, da sie von der Zukunft in die Vergangenheit fließt, hat es einen Unfall nie gegeben. Ach, da fällt mir ein, welchen Tag haben wir heute, den wievielten im Monat?«
»Den zehnten.«
»Siehst du, gestern sagtest du, dass wir den elften hätten.«
»Nein, den neunten, habe ich gesagt.«
»Quatsch, du sagtest den elften. Das weiß ich ganz genau.«
»Gut, nehmen wir einmal an, ich hätte tatsächlich den elften gesagt. Wie kommt es dann, dass ich mich an unser Gespräch von gestern beziehungsweise in deiner Version an unser Gespräch von morgen erinnern kann? Hätten wir dieses Gespräch erst morgen geführt, wäre ich ja gar nicht in der Lage, mich daran zu erinnern, da die Zeit ja rückwärtsläuft und folgerichtig diese Erinnerung längst aus meinen Hirnwindungen gelöscht sein müsste.«
Tja, wo er recht hatte, hatte er recht. Hier gab es einen gewaltigen Logikfehler. Wie in allen Wahnsystemen, seien sie noch so akribisch und bis auf sieben Stellen hinters
Komma ausgetüftelt. Ja, Wahn, nichts anderes als das. Bis gerade eben war ich mir noch so vorgekommen, als hätte ich das Rad neu erfunden. Doch nun plötzlich fühlte ich mich wie jemand, der sich mit seiner Erfindung vor Leuten, die jeden Tag auf vier Rädern auf der Autobahn dahinrasen, der Lächerlichkeit preisgibt. An Juniors Argument gab es in der Tat nichts zu deuteln. Offenkundig hatte ich mich gestern wirklich verhört. Doch wieso passierte das alles mit mir? Ging es jetzt dem Ende zu, und diese Aussetzer waren nichts anderes als eindeutige Winke mit dem Zaunpfahl? Dem Ende zu, vielleicht noch nicht körperlich, aber schon mit den grauen Zellen voran. Einst war ich so stolz auf meine grauen Zellen gewesen, doch wie es schien, wurden sie jetzt immer mehr und immer schneller von der großen Schwärze überflutet, jener unerbittlichen Macht, die noch jeden Sterblichen früher oder später einholt.
»Dafür habe ich auch keine plausible Erklärung«, sagte ich nüchtern.
Junior schien meine Kapitulation nicht bemerkt zu haben. »Ach, und da ist noch etwas, was nicht zusammenpasst, Paps. Wenn die Zeit tatsächlich rückwärtsläuft und wir das dank eines geheimen Chips in unserem Hirn nicht merken, wie steht es dann mit der Historie, der persönlichen und der die Welt betreffenden? Verbergen sich denn nur Illusionen in unserem Gedächtnis? Hat es, sagen wir mal, den Zweiten Weltkrieg je gegeben? Ich meine, wir können nicht wirklich wissen, ob es ihn gegeben hat, wenn wir aus der Zukunft kommen und in die Vergangenheit wandern. Denn wenn die Vergangenheit unsere Zukunft ist, so müsste sie uns wie die normale Zukunft offen stehen. Der Zweite
Weltkrieg wäre dann nur eine Möglichkeit unter Millionen von anderen.
Weitere Kostenlose Bücher