Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
bisschen Trost gespendet und einen Ausweg aus ihrem Dilemma gewiesen hätte. »Das hört sich alles ganz schrecklich an, Sybilla. Ich bin wirklich tief betroffen. Deshalb mache ich dir ein Angebot, und glaube ja nicht, dass ich das aus reiner Höflichkeit nur so dahinsage. Ich steige bei der nächsten Station aus, weil ich es mir anders überlegt habe und den Weg nach Hause antrete. Du kannst gerne mit mir kommen und dich bei mir breitmachen. Es ist ein wunderschönes Haus in einem Altbaugebiet, und sowohl fürs leibliche Wohl als auch für Abenteuer in den Hinterhofgärten ist gesorgt. Wenn du zu uns ziehst, wird es zwar einigermaßen eng bei uns, weil ich nicht alleine lebe. Aber wir werden uns schon irgendwie zusammenraufen. Mein Dosenöffner wird es auch sicherlich verschmerzen können, ein paar Dosen Futter mehr im Monat zu öffnen. Was sagst du?«
Sie lächelte und rieb ihre Nase dankbar an meine. Ihr betörender Geruch überwältigte mich und ließ mich augenblicklich in eine imaginäre Glaskugel schauen, in der ein besonders unappetitliches Splatter Movie ablief. Darin lieferte sich eine gewisse Sancta mit einer gewissen Sybilla
infolge eines nicht weiter ergründbaren Eifersuchtsdramas einen Kampf bis zum letzten Krallenhieb, wobei beide Damen schon so viele Wunden davongetragen hatten, dass das aus ihnen hervorschießende Blut mit absoluter Sicherheit einen Eimer gefüllt hätte. Vielleicht hätte ich erst über die Konsequenzen nachdenken sollen, bevor ich solche vollmundigen Einladungen aussprach.
»Danke, Francis«, sagte Sybilla und zog sich wieder von mir zurück. Schade, ich hätte ihren Geruch gerne noch weiter inhaliert. »Aber du kennst uns Bahnhofspennerinnen ja. Obwohl es uns echt dreckig geht, sind wir an diesen Ort wie angekettet. Jedenfalls mag das für Außenstehende so scheinen. Ich weiß dein Angebot echt zu schätzen, aber leider kann ich es nicht annehmen. Mir geht es eigentlich auch so weit ganz gut. Bis auf einen hartnäckigen Aussetzer, der mir hin und wieder dazwischenfunkt und mich schachmatt setzt.«
Bei dem Wort Aussetzer bekam ich automatisch einen Aussetzer. Augenblicklich fühlte ich mich wie von tausend Watt gestreichelt und klappte das Maul in einer Tour auf und zu, ohne etwas hervorbringen zu können. Nein, das würde es doch nicht sein, nein, das konnte sie doch nicht gemeint haben, unmöglich. Natürlich war inzwischen Paranoia mein zweiter Vorname geworden, und alles, was mit den Stichworten Zeit, rückwärts und eben auch Aussetzer zusammenhing, bezog ich mittels eines krankhaften Magnetismus sofort auf mich. Dabei hatte Sybilla bei ihrem Aussetzer bestimmt ein durch Mangelernährung oder Verwahrlosung verursachtes Handicap gemeint.
»Mmh, verstehe …« Ich versuchte, meine überzogene Reaktion
auf ihr Geständnis zu überspielen. »Also, wenn weiter nichts anliegt, dann würde ich von dir gern erfahren, welche Linie ich bei der nächsten Station nehmen muss, damit ich wieder zu der Station, bei der ich eingestiegen bin …« Ich benahm mich schon wie die berühmten drei Affen.
»Langsam, Francis, ich wollte dir doch noch von meinem komischen Aussetzern erzählen.« Sie lächelte wieder, aber wie jemand, der die eigene unheilbare Krankheit nur noch mit Humor ertragen kann. »Tut mir leid, aber hier trifft man nicht so viele Artgenossen, mit denen man ein Schwätzchen halten kann. Also, manchmal habe ich so Phasen …«
»Schwächeanfall!«, schoss es übernervös aus mir heraus. »Durch Unterernährung verursachter Schwächeanfall.«
»Was? Nein. Ich sagte dir doch schon, dass ich mit der Futterbeschaffung keine Probleme habe. Es ist etwas ganz und gar Irreales. Manchmal kommt es mir so vor, als würde die Zeit rückwärtslaufen. Dann läuft alles um mich herum rückwärts, und ich selbst habe das Gefühl, als sei ich die Gefangene eines perversen Programms, aus dem ich nicht ausbrechen kann. Das Ganze dauert nur ein paar Minuten, vielleicht fünf oder zehn, aber hinterher bin ich für den ganzen Tag erledigt, weil ich an meinem Verstand zweifle. Muss wohl an dem künstlichen Licht hier liegen, dem ich Tag und Nacht ausgesetzt bin.«
Sybillas Geständnis hatte mich wieder schlagartig zu dem Punkt katapultiert, von dem ich mich eigentlich still und leise hatte davonschleichen wollen. Doch nun, da ich eine waschechte Leidensgenossin gefunden hatte, die mir bestätigte, dass ich keineswegs dem Wahnsinn anheimgefallen
war, wäre eine Realitätsverleugnung dem
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