Felidae
bemerken. Nichtsdestotrotz wurde ich von einer angstvollen Erregung erfa ß t, und mein Herz begann wie wild zu hämmern.
Leise tapste ich durch den Flur und betrat schließlich durch die halb geöffnete Tür das Arbeitszimmer. Gregor Johann Mendel blickte aus dem Dickicht seiner Erbsenpflanzen grimmig auf mich herab. Er schien erbost, weil ich hinter sein Geheimnis gekommen war. Durch die Glaswand sah ich, da ß der Schneesturm draußen inzwischen alle Ingredienzien besaß, um in einem kitschigen Wintergemälde nach Gustavs Geschmack verewigt zu werden. Ein orkanartiger Wind tobte wie ein entfesselter Dämon über die Gärten, gab ohne Unterla ß ein gespenstisches Pfeifen von sich, fegte innerhalb von Sekunden riesige Schneedünen fort und ließ sie im nächsten Augenblick andernorts neu entstehen, wirbelte die Schneeflocken, den flackernden Erscheinungen auf einem gestörten Fernsehbild gleich, umher und ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Ich sprang auf den Schreibtisch und drückte mit beiden Pfoten den Betriebsschalter des Computers auf »On«. Das Gerät ließ das mir vertraute leise Summen ertönen. Dann erschienen, wie Irrlichter über einem verwunschenen Friedhof, die gleißend hellen Angaben über das System und das Diskettenlaufwerk in der unergründlichen Schwärze des Bildschirms. Als der Rechner sich mit seinen elektronischen Erinnerungen aufgeladen hatte, blinkte ungeduldig der Cursor, also die Leuchtmarkierung, als wolle er wissen, wie es nun weiterginge. Das wollte ich selbst gern wissen, und so stellte ich mir zunächst die entscheidende Frage: Welchen Codenamen würde ich einer Datei geben, die das bestgehütete Geheimnis im Revier war und allein mir zugänglich sein sollte? Vielleicht einen Namen, der die teuflische Ursache für die Entstehung dieser Datei darstellte, der mich jedesmal an den Grund meiner Rache erinnerte und mit dem mich in meiner Umgebung niemand in Verbindung bringen würde.
Es klappte auf Anhieb! Sobald ich das Wort »Preterius« eingegeben hatte, erloschen die allgemeinen Systemangaben, und der Bildschirm wurde, von oben beginnend wie ein herabsinkender Theatervorhang, rot gefärbt. Dann erschien der Titel des Geheimprogramms in riesigen, goldfarbenen Lettern, welche von neckischen kleinen Blitzen umspielt wurden: FELIDAE.
Nach ein paar Sekunden verschwand auch diese Graphik, und der Bildschirm bescherte mir zu meiner Befriedigung, aber auch zu meinem großen Entsetzen das, wonach ich gesucht hatte.
Das Zuchtprogramm »Felidae« war derart umfangreich und kompliziert, da ß nur ein winziger Teil von ihm in den begrenzten Bildschirmausschnitt vor mir hineinpa ß te. Es bestand aus einer beträchtlichen Anzahl von Stammbäumen, die ganz oben mit mehreren für die Rückzucht in Frage kommenden Paaren anfingen und sich, immer zahlreicher und undurchschaubarer, nach unten, scheinbar ins Unendliche, verästelten. Je weiter es die Tafel nach unten ging, desto mehr bewegten sich die aus diesen speziellen Stammbäumen hervorgegangenen Exemplare von dem domestizierten Typ fort und auf die wilde, reinrassige Felidae zu. Der Züchter war jedoch beim Selektieren sehr straff vorgegangen und hatte die Generationen, die weiterhin das dominante Gen der Domestikation in sich trugen, nach und nach aus dem Programm getilgt, also vermutlich umgebracht. Ein unentwirrbares Netz von Verwandtschaftsverästelungen überzog den hellgrünen Hintergrund wie ein Schnittmuster, und unter jedem Namen war ein entsprechendes Informationskästchen angebracht. Dieses enthielt jeweils Angaben zum Genotyp, also zur Gesamtheit der Gene, die ein Individuum von seinen Eltern erbt, und zum Phänotyp, das heißt zur fertigen Ausführung, des oben genannten. Auch Vermerke über »dominante«, also sich immer im Phänotyp ausdrückende Gene und »rezessive«, hinter dominante zurücktretende, wenn auch wiederbelebbare Erbfaktoren, befanden sich in den Kästchen. Die Kästchen wiederum waren untereinander mit schwarzen Linien verbunden, um die vielfältigen Kreuzungen übersichtlich zu dokumentieren. Um einen Gesamteindruck von dem Zuchtprogramm zu erhalten, konnte man die imponierende Graphik auf dem Bildschirm nach oben und unten, nach rechts und links verschieben.
Die Auflösung oder, präzise ausgedrückt, das Prinzip war ganz einfach. Wenn ein Mensch Tiere züchten wollte, würde er die für die Zucht bestimmten Tiere von den Tieren, die nicht für die Zucht in Frage kamen, isolieren. Ein Tier, das Tiere zu
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