Felidae
sich plötzlich jemand zu ihnen, den sie sehr gut zu kennen schienen und vor dem sie gehörigen Respekt haben mu ß ten. Denn selbst ihre gesteigerte Aggressionsbereitschaft in diesem Zustand versagte vor diesem Jemand.«
»Das ist auch meine Theorie. Kennst du diesen Jemand?«
»Nein.«
»Hat er mit diesen Leichen in spe gesprochen?«
»Ja, aber ich konnte nicht verstehen, worüber sie redeten. Doch eines konnte ich immer wieder heraushören: Dieser Unbekannte sprach sehr eindringlich und bedeutungsschwanger, als wolle er seine Gesprächspartner von etwas überzeugen.«
»Von etwas überzeugen?«
»Es kam mir so vor.«
»Und später?«
»Nach dem Wortwechsel gab es meistens eine Pause ...«
»Dann stießen sie den Todesschrei aus!«
»Genau. Ich nehme an, da ß der Unbekannte sie zu Tode gebissen hat.«
»So ist es. Es war stets der gezielte Nackenbi ß , den wir bei der Jagd verwenden. Es ist ja eigentlich nahezu unmöglich, diesen Bi ß bei einem Rivalen anzubringen, weil dieser ungefähr gleich groß, stark und flink ist wie der Gegner. Es kann nur so gewesen sein, da ß die Opfer einfach nicht mit dieser Reaktion gerechnet hatten und ihrem Mörder wahrscheinlich nur ganz kurz mal den Rücken zugekehrt hatten. Dazu bedurfte es jedoch einer gehörigen Portion Vertrauen.«
»Vielleicht ein Weibchen, das nicht belästigt werden wollte.«
»Eine komische Methode, sich Kerle vom Halse zu halten. Nein, nein, die Morde waren allesamt geplant, kaltblütig geplant. Die fanatisierten Mitglieder der Claudandus-Sekte kämen meiner Meinung nach als fröhliche Nackenbeißer eher in Betracht. Insbesondere dieser finstere Priester, der sah mir ganz danach aus, als habe er früher mal einen Voodoo-Scherzartikel-Laden geführt. Kannst du mir über diese Vereinigung etwas erzählen?«
»Sehr wenig. Ich weiß nur, dass sie einen Märtyrer namens Claudandus anbeten, der angeblich vor Urzeiten irgendwo in diesem Territorium gelebt hat. Von seiner Geburt an soll er gequält und gefoltert worden sein. Von wem und weshalb, das weiß niemand so genau. Jedenfalls wurde sein Leiden eines Tages so mächtig, da ß er Gott rief und um Erlösung bat. Und siehe da, Gott erhörte sein Flehen. Er fuhr in ihn und erlöste ihn von seiner Pein. Sein Peiniger wurde auf grauenhafte Art und Weise vernichtet, erzählt man sich, während der gute Claudandus geradewegs in des Allmächtigen Schoß aufgenommen wurde. Jedenfalls wurde er seitdem nicht mehr gesehen. Wie jede Legende mag auch diese Legende einen wahren Kern besitzen, aber mir ist er unbekannt.«
»Wusstest du, da ß Claudandus lateinisch ›einer, der geschlossen werden muss oder soll‹ bedeutet?«
»Nein. Ich kann mir darauf keinen Reim machen. Aber mir scheint, du bist auf der falschen Fährte. Den Verdacht, da ß der Übeltäter unter den Anhängern der Sekte zu finden ist, kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Diese Trottel, die Claudandus huldigen und sich seinetwillen kasteien, sind harmlos. Sie tun diese verrückten Dinge aus einem unbestimmten Gefühl der Religiosität und der Hingabe heraus, vielleicht sogar aus reiner Langeweile. Sie würden damit niemals anderen schaden. Und gar Mord? - Also, ich weiß nicht.«
»Dein Wort in Claudandus Ohr. Mein Verdacht bleibt trotzdem bestehen. Diese Freaks sahen mir alle nicht koscher ... «
Bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte, ri ß sie plötzlich blitzartig ihren Kopf nach oben. Ich schaute ebenfalls hoch und fixierte die Stelle an der Dachkammerdecke, auf die Felicitas' blinde Augen voll unheilschwangerer Erwartung gerichtet waren.
Blaubart hatte seinen Kopf durch das geöffnete Dachfenster gesteckt und glotzte mit schuldbewu ß tem Blick auf uns beide herab.
»Warum bist du getürmt? Wir wollten mit dir nur quatschen«, sagte er schließlich fast entschuldigend.
»Wobei dreihundertsechzig Volt meine Zunge lösen sollten, was?« gab ich wütend zurück.
Felicitas entspannte sich wieder, und über ihr nun von den ersten Sonnenstrahlen silbern funkelndes Gesicht glitt erneut ihr zauberhaftes blindes Lächeln. Ihr war die Erleichterung darüber, da ß kein Kampf stattfinden würde, anzusehen. Keine Kämpfer, kein Kampf, kein Leben.
Viertes Kapitel
Gleich nach Blaubarts Auftauchen war Felicitas' Besitzer (Typ: verarmter Adliger inklusive Monokel, Seidenpyjama, Meerschaumpfeife und Siegelring) aufgewacht und hatte uns beide mit vielerlei primitiven Gebärden und Geräuschen, die denen von Gustav nicht
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