Felidae
Blaubart nur so herausgeblubbert waren. Ich bin mir allzu sehr im klaren darüber, dass an der Wiedergabe dessen, was jetzt folgt, viele zu Recht zweifeln werden. Denn hätte ich das Ganze nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich, ehrlich gesagt, selbst nicht daran glauben. Doch es ist nun einmal die verdammte Wahrheit, und ich habe mir vorgenommen, zumindest nicht zu übertreiben.
Blaubart führte mich zu einem von allen Seiten mit Kletterpflanzen überwachsenen Altbau, der im entferntesten und verborgensten Winkel des Reviers lag. Das Knusperhäuschen sah jedoch von innen wie der Wunschtraum eines dynamischen Jung-Managers aus, der davon besessen ist, einmal so wie diese schon inflationären Beverly-Hills-VIPs zu wohnen, die uns alle naselang von der Mattscheibe entgegengrinsen. Ein bis zur Schmerzgrenze durchgestyltes Miniatur-Chalet, das der arrivierte Innenarchitekt seiner Familie empfiehlt. Das hervorstechendste Charakteristikum dieses Hauses war die Leere. Das Hauptmerkmal eines jeden Raumes war entweder ein unerschwinglicher Teppichboden oder spiegelblanker, weißer Marmor. Möbel und andere Einrichtungsgegenstände waren äußerst spärlich darauf verteilt, wie bei einer Ausstellung.
Es war ein befremdliches Gefühl. Wo taten diese Leute bloß solche Sachen wie Nähkästchen oder Schuhputzzeug hin? Besaßen sie keine Erinnerungsstücke an ihre Kindheit? Wo hatten sie bloß all den verfluchten Kleinkram versteckt, der sich in einem Haushalt im Lauf der Jahre nun mal so ansammelt? Statt dessen befanden sich hier ausschließlich irgendwelche Objekte, die den Eindruck machten, als seien sie dem New Yorker Museum of Modern Arts entliehen.
Durch die angelehnte Haustür waren Blaubart und ich vom Garten direkt ins Wohnzimmer gelangt, in dem sich lediglich eine schwere Lederliege und eine CD-Player-Anlage plus ein Satz Klassik-CDs befanden. An den weißen Wänden hingen nur zwei Bilder. Das erste war die stark vergrößerte Aufnahme vom Geschlechtsteil einer F rau, das zweite Bild das männliche Pendant dazu. In der Tat, hier hausten Kunstgenießer! Wie anders war dagegen Gustavs Geschmack oder besser gesagt seine Geschmacklosigkeit. Der Mann hatte ja einmal sogar die Stirn besessen, die Reproduktion der Sonnenblume von van Gogh aus dem Kalender zu reißen und mit einer Heftzwecke, wohlgemerkt mit einer Heftzwecke, an die Wand zu pinnen, bis ich das Ding schließlich halb wahnsinnig vor Wut zerfetzte. Ich fragte mich, ob die Bewohner dieses Modern-Art-Heimes auch eine hä ß liche Gummiente im Badezimmer aufbewahrten wie Gustav. Oder ob sie vielleicht auch von der Oma gehäkelte Tischdeckchen ihr eigen nannten, falls sie überhaupt je eine Oma hatten. Wahrscheinlich aßen sie auch kein Fleisch. Und wenn sie es taten, produzierten sie dabei bestimmt nicht solche hä ß lichen Geräusche wie Gustav.
Blaubart war mit einem tiefgründigen Grinsen in das überdimensionale Abbild der Vagina versunken.
»Äußerst beeindruckend«, sagte ich. »Sind wir hier im Hause eines Zuhälters oder eines Kunstprofessors?«
»Scheiße, das weiß ich auch nicht so genau.«
Er überlegte angestrengt.
»Ich glaube, der Bursche, dem dieser Kasten gehört, macht irgendwas mit Wissenschaft. Mathematik, Biologie oder Parapsychologie, weiß der Teufel. Jedenfalls mu ß er dabei dicke Knete wegstecken, wenn er sich all diesen Mist leisten kann.«
»Und wo ist nun der Klugscheißer, den sich dieser Klugscheißer hält?«
Er zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Wir können ihn ja suchen.«
Wir wandelten über Teppichboden und Marmor, Marmor und Teppichboden und immer so weiter, bis uns regelrecht schlecht wurde von all den letzten Schreien aus der Wunderwelt der hypermodernen Inneneinrichtung. Wir sahen uns satt an afrikanischen Totems, die bisweilen das einzige Mobiliar eines Raumes waren, an Le-Corbusier-Liegen, Thonet-Stühlen, viel Memphis und an Biedermeier-Kommoden, deren Restaurierung wahrscheinlich mehr Geld gekostet hatte als das gesamte Leben des dummen Bauern, dem man das Ding für 'nen Appel und 'n Ei abgeluchst hatte.
Dann endlich fanden wir das Objekt unserer Suche - und diese Begegnung setzte dem »Unternehmen Klugscheißer« in der Tat die Krone auf!
Als wir das im ersten Stockwerk gelegene Arbeitszimmer betraten, fiel er mir erst gar nicht auf, da das Wandgemälde auf der rechten Seite meine Aufmerksamkeit mehr in Anspruch nahm. Das riesige Bild stellte einen breitschultrigen und ziemlich behäbigen
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