Felidae
Warum konnte man die Welt nicht einfach in eine gute und in eine böse Hälfte aufteilen? Die Farbe Grau bereitete einem Unbehagen, sie ließ die Dinge kompliziert und hoffnungslos erscheinen, sie zerstörte die Vorstellung von Schwarz und Weiß. Gut und Böse, das gab es nicht. Es gab ein bi ß chen Gut und ein bi ß chen Böse, ein bi ß chen Schwarz und ein bi ß chen Weiß. Grau, eine ekelhafte Farbe, aber eine reale, vielleicht die realste. Die Wahrheit, die Erklärung für die schrecklichen Dinge, die geschehen waren, das Mordmotiv und der Mörder, all das verbarg sich hinter diesem Grau, hinter der perfektesten Tarnung, seit die Erde existiert.
Zu Hause erwartete Blaubart und mich ein Napf frischer, bereits ausgenommener Kabeljau. Auch wenn Gustav seine Macken hat beziehungsweise ausschließlich aus Macken besteht, in Sachen exquisites Futter für seinen besten Freund ist er ohne Fehl und Tadel. Natürlich bedurfte es zu dieser Einstellung einer langwierigen Erziehung und unmi ß verständlicher Körpersprache. Denn von allein kommen Menschen nicht auf die Idee, da ß außer ihnen selbst auch andere sich an kulinarischen Genüssen erfreuen können. Obwohl sie das Zusammenstellen und Aufbereiten ihres eigenen Fraßes zu einer Kultur, nicht selten zu einer Ideologie erheben, gestehen sie anderen Lebewesen niemals eine feine Zunge zu. Angesichts solcher Borniertheit hilft nur eins: Hungern! Den Mist, diesen Abfall, diese stinkenden Almosen, die sie einem vorsetzen, nicht essen, sondern hungern und nochmals hungern 9 ! Soviel Ausdauer und Stolz, wie sie sogar ein Knastbruder in Form eines Hungerstreiks beweist, wenn sich seine Haftbedingungen verschlechtern, mu ß sein. Mit dieser Methode des bürgerlichen Ungehorsams gab ich am Anfang unserer Beziehung auch Gustav zu verstehen, da ß er sich das »Leckerli«, das er mir zumutete, was weiß ich wohin schieben könnte, und da ß ich auf keinen Fall bereit war, auch nur daran zu schnuppern. Da Gustavs Begriffsvermögen, wie schon mehrfach erwähnt, irgendwo zwischen dem des berühmten sprechenden Affen Coco und dem von diesem russischen Weltraumhund liegt, dauerte es eine Weile, bis er seine Fehler einsah und endlich daran ging, erlesene Speisen für mich zuzubereiten. Selbst zum leichten Anbraten, ja sogar zum Würzen des Fleisches konnte ich ihn im Lauf der Zeit bewegen, und, um beim Thema zu bleiben, bald fraß er mir richtig aus der Pfote . Diese Anmerkung am Rande soll nur verdeutlichen, da ß es in Wahrheit keine Unterdrückten gibt, sondern nur welche, die sich unterdrücken lassen. Amen.
Da Blaubarts Magenvolumen etwa das Vierfache von meinem maß, stopfte er den Kabeljau gierig immer noch in sich hinein, als ich, schon über die Massen gesättigt, einen Inspektionsblick in das Wohnzimmer riskierte, um den gegenwärtigen Stand der Renovierung zu begutachten.
Es war beachtlich, was für Fortschritte die beiden Schwerarbeiter gemacht hatten. Während Archie bereits das Parkett verlegte, pappte Gustav schwitzend und mit obligatorisch heraushängender, sich unkontrolliert windender Zunge irgendwelche hochmodischen Kunststofftapeten an die Wand. Als er mich erblickte, ließ er alles stehen und liegen, watschelte zu mir, hob mich in die Höhe und führte mit seinen Wurstfingern meinem Pelz, wie er sich gern ausdrückt, »die bitternötigen Streicheleinheiten« zu.
Archie, der unterdessen gänzlich in der Rolle des vollkommenen Heim- und Handwerkers aufgegangen war, hatte sämtliche sinnlosen und - ja, ich glaube nur sinnlose Maschinen in die Wohnung geschleppt, die er im Umkreis von hundert Kilometern auftreiben konnte. Mir schien, es war sogar eine dabei, um Popel aus der Nase zu ziehen. Obwohl uns beide große Sympathie verbindet, konnte er sich bei meinem Anblick die Bemerkung nicht verkneifen, da ß gegenwärtig Birmas »in« seien und mein Typ der Vergangenheit angehöre. Gustav gab daraufhin irgendwelche entrüsteten Worte von sich und plapperte auf mich ein, da ß ich auf den bösen Onkel Archie nicht hören solle.
Ich tat es nicht, sprang vom Scho ß meines Freundes herunter und spazierte wieder ins Badezimmer zurück, wo mich Blaubart mit einem leeren, sauber ausgeleckten Napf erwartete. Als Dank für meine Gastfreundschaft wollte er nun sein Versprechen vom vorigen Tag einlösen und mich mit dem »anderen Klugscheißer« bekanntmachen.
Die Begegnung mit dem anderen Klugscheißer übertraf bei weitem alle Verheißungen, die unterwegs aus
Weitere Kostenlose Bücher