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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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unähnlich waren, begrüßt. Da Durchlaucht mangels eines »James« frische Brötchen und die Morgenzeitung selber holen wollte, packte ich die Gelegenheit beim Schopfe und entschlüpfte beim Öffnen der Wohnungstür nach draußen. Vorher hatte ich mich von Felicitas verabschiedet und ihr weitere Besuche zugesichert.
    Ich stieg wieder aufs Dach und traf dort Blaubart, der auf mich gewartet hatte. Es war ihm ziemlich peinlich, über die Geschehnisse der letzten Nacht zu sprechen, doch ich kümmerte mich herzlich wenig um sein Feingefühl.
    »Einerseits bist du zu mir gekommen, damit ich in dieser Mordsache etwas unternehme, andererseits hast du mir das Wesentliche verschwiegen. Ich frage mich, was für hübsche Überraschungen noch auf mich warten«, warf ich ihm zähneknirschend vor.
    »Das Wesentliche, das Wesentliche! Herr im Himmel, wer hätte denn je daran gedacht! Diese Claudandus-Chose ist nichts weiter als so 'ne Art Zeitvertreib, ein bisschen Nervenkitzel oder Mutprobe. Nenne es, wie du willst. Scheiße, ja! Was hat das Ganze mit dem verrückten Nackenbeißer zu tun?«
    Ich war kurz davor, vor Wut zu explodieren. Stellte er sich absichtlich so blöd an?
    »Natürlich gar nichts, du Idiot! Die ganze Mischpoke rottet sich zusammen, um sich in einen gewaltgeladenen Rauschzustand zu steigern, in dessen Verlauf wer weiß was für abartige Dinge passieren oder passieren können, aber mit den Morden hat das alles selbstverständlich überhaupt nichts zu tun. Du hast mich angelogen, Blaubart! Vielmehr hast du mir bedeutsame Informationen vorenthalten. Und das weißt du ganz genau, mein Freund. Warum du es allerdings getan hast, gibt mir immer noch Rätsel auf.«
    »Nun ja, ich dachte, es wäre vielleicht nicht so wichtig«, druckste er verlegen.
    »Nicht so wichtig? Wenn es um die Aufklärung eines derart diffizilen Falles geht, ist jedes Detail wichtig, Blaubart, jedes! Jede Kleinigkeit kann unter Umständen unvorhergesehen an Bedeutung gewinnen. Und merk dir eins für die Zukunft: Entweder du spielst ein ehrliches Spiel mit mir oder wir spielen überhaupt nicht miteinander!«
    Die aufgehende Sonne tauchte die Dachlandschaft jetzt in ein sattes Orange. Die Luft war klar und frisch, so da ß das Sonnenlicht uns zu blenden begann. Während wir wieder das Gustavsche Anwesen ansteuerten, packte der mühsam neben mir herhumpelnde Blaubart so richtig aus. Die Sekte existierte schon seit einigen Jahren. Über die Hintergründe ihrer Entstehung war so gut wie nichts bekannt. Fest stand nur, da ß »Joker« - der greise Zeremonienmeister - als erster angefangen hatte, die Lehre vom schmerzerfüllten Claudandus zu verbreiten. Im Lauf der Jahre hatte er für seine Sache immer mehr Anhänger gefunden, und am Ende machten fast alle mit, ohne sich so richtig den Grund dafür erklären zu können. Wie Felicitas schon treffend gemutmaßt hatte, entsprang es wohl einem starken Bedürfnis nach Religiosität, Geborgenheit und einer gehörigen Portion Action. Außer diesen merkwürdigen Strom-Exzessen, die nach und nach Teil des Rituals geworden waren, war Blaubart während der Sitzungen nichts Außergewöhnliches aufgefallen, wenn man einmal davon absah, da ß die ganze Angelegenheit an sich schon außergewöhnlich war. Auch das Argument, der chemische Geruch, der von den verrotteten Räumlichkeiten ausging, würde unter Umständen eine nachhaltige aggressionsfördernde Wirkung auf die Sektenmitglieder ausüben, ließ Blaubart nicht gelten. Er jedenfalls, so meinte er, sei nach dem Spuk stets abgeschlafft, gedankenleer, ja schläfrig gewesen, statt aggressiv. Und wer Claudandus in Wirklichkeit gewesen war, wu ß te er ebenfalls nicht.
    Dies alles beruhigte mich in keiner Weise. Im Gegenteil, all meine Fragen hatten lediglich neue Fragen aufgeworfen. Der Mörder versteckte sich in diesem Sumpf von Geheimnissen und Halbwahrheiten wie ein Virus in einem ungeheuer komplizierten Organismus und zog heimlich und leise an den Drähten des Todes.
    Während wir uns unserem Dach näherten, fiel mein Blick abermals nach unten auf die Häuser und Gärten, die die Sonne inzwischen mit einem illuminierenden Gold bestrahlte. Ja, es gab nicht nur die Menschen auf dieser Welt, dachte ich bei mir, die all das errichtet hatten und die sich als die Könige des Universums wähnten. In jedem Kosmos existierte noch ein Mikrokosmos, und deprimierenderweise war der letztere immer ein hä ß liches Spiegelbild des ersteren. Doch warum mu ß te das so sein?

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