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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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bestimmten Zweck, als sei sie gewissermaßen eine auf Abhärtung ausgerichtete Vorbereitung, eine Vorbereitung auf etwas ganz Besonderes, auf etwas, was jenseits aller Vorstellungskraft lag. Aber auf was, beim rabenschwarzen Fell des Propheten?
    Viele Fragen, keine Antworten. Aber verdammt schlaue Vermutungen! Wenigstens das.
    Nachdem ich Jesaja noch eine Weile ausgefragt hatte, wurde ich von einer bleiernen Müdigkeit überfallen. Für heute nacht war Sense mit dem Detektivspielen. Deshalb bat ich den Totenwächter, mich so schnell wie möglich aus diesem stinkenden Labyrinth hinauszuschaffen, was er auch pflichtschuldigst tat. Er lotste mich allerdings zu einem anderen Ausgang, so da ß ich ganz in der Nähe unseres Gartens wieder auftauchte. Es handelte sich hierbei um eine grob aus Stein gehauene, sich nicht mehr in Betrieb befindliche Wasserleitung, die kurioserweise im hohlen Stamm eines uralten Baumes endete. Jesaja erzählte mir, es existierten noch viele solcher Geheimgänge, deren Standorte jedoch allein er kenne.
    »Einige Fragen zum Schlu ß «, bedrängte ich ihn, bevor ich den Baum durch ein großes Astloch verließ. »Jesaja, ist dir an den Toten, die du in all den Jahren empfangen hast, etwas Besonderes aufgefallen? Ich meine, befanden sich zum Beispiel auch Rollige unter ihnen?«
    Er war plötzlich ganz aufgewühlt, und seine Augen fingen wieder unkontrolliert zu rollen an.
    »So war es, Bruder. Aber auch sonderbar entstelltes Volk kam hinab in den Tempel, und ich sündigte, indem ich mich manchmal fragte, ob Jahwe sie wohl vergessen hatte.«
    »Und Trächtige, waren einige der Seligen zum Zeitpunkt ihres Todes auch trächtig gewesen?«
    Nun stiegen ihm die Tränen in seine rollenden Augen. Ich hätte ihn umarmen und trösten mögen.
    »Viele«, wimmerte er leise. »Ach, viele, Bruder!«
    Ich verabschiedete mich herzlich von ihm und zog meines Weges. Unterwegs wurde ich von Schuldgefühlen geplagt, da ich nicht mit der Wahrheit herausgerückt war und ihm seinen Glauben an den boshaften Propheten gelassen hatte. Anderseits fürchtete ich, da ß er sich kaum mehr an die knallharte Realität hier oben würde gewöhnen können. Er war so naiv, so unschuldig, so voll des Glaubens an Gottes geheiligtes Werk, da ß ich es einfach nicht über mich brachte, ihn seiner Illusionen zu berauben. Die Wahrheit, die für mich galt, mu ß te nicht unbedingt auch für andere gelten. Die Realität, die mich umgab, mu ß te nicht zwangsläufig die gesamte Welt umfassen. Jesaja brauchte die Katakombe, den Tempel und die Toten. Es war seine Berufung, sein Lebenswerk. Und die Toten brauchten Jesaja, den guten Totenwächter. Denn wer sonst würde ihnen Blumen bringen?

Achtes Kapitel
     
     
    Den Rest der Nacht verbrachte ich schlafend oder, präzise gesagt, träumend. Eigentlich konnte man nicht einmal vom Rest der Nacht sprechen, denn als ich endlich wieder durch das Klofenster in die Wohnung stieg, dämmerte draußen bereits der Morgen. Ich war so hungrig, da ß ich ein ausgewachsenes Pferd hätte verspeisen können. Da Gustav jedoch, wie er immer wieder gern tönt, »wenigstens am Sonntag« richtig ausschlafen möchte (was reiner Schwachsinn ist, denn der Knabe pennt praktisch jeden Tag bis in die Puppen), wagte ich nicht, ihn auf mein Bedürfnis aufmerksam zu machen. So huschte ich ins Schlafzimmer und ließ mich auf der flauschigen Wolldecke nieder, welche den beängstigend schnarchenden Fettklo ß umhüllte. Das Gewitter war inzwischen vorüber, und ich sank rasch in einen tiefen, bleiernen Schlaf.
    Zu meiner Erleichterung blieb ich diesmal von einem Alptraum verschont. Stattdessen hatte ich eine Art Vision:
    Ich befand mich erneut in einem konturlosen, strahlenden Weiß, in dem weder Raum noch Zeit noch eine Realität existierten. Aber im Gegensatz zu dem Traum, in dem mich der Mann ohne Gesicht mit dem Diamantenkollier stranguliert hatte, fehlte nun das unterschwellig Bedrohliche völlig. Bisweilen durchzogen dichte Dunstschwaden den sonderbaren Ort und überdeckten das Weiß hier und da mit hellgrauen Schatten. Ich wandelte voller Euphorie durch dieses Nichts, und je weiter ich vorwärts kam, desto stärker baute sich in mir eine heftige, aber angenehme Spannung auf. Gelegentlich hüllte mich der Dunst ein und beraubte mich der Orientierung. Doch da es hier sowieso nichts gab, an dem man sich hätte orientieren können, störte mich das wenig.
    Dann plötzlich fiel die ungeheure Spannung jäh von mir ab, als ich

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