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Felidae

Felidae

Titel: Felidae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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in der Ferne Ursache und Auflösung derselben zu sehen glaubte. Ich wu ß te nicht mehr, welches Ziel ich bei meinem rastlosen Spaziergang verfolgt, und wen ich zu treffen erhofft hatte, aber als ich ihn erblickte, wurde mir schlagartig klar, da ß die geballte Erwartung in mir nur auf diese eine Begegnung ausgerichtet gewesen war. Natürlich war er eine Fiktion, dessen war ich mir sogar im Traum bewu ß t. Denn weder kannte ich ihn, noch besaß ich eine klare Vorstellung von seiner äußeren Erscheinung. Doch trotzdem fühlte ich in diesem Augenblick mit einer Gewi ß heit, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch niemals gespürt hatte: Ich hatte ihn endlich gefunden!
    Sein Fell war unbeschreiblich fein, ja geradezu majestätisch seiden und von einem so außerirdisch leuchtenden Weiß, da ß einem bei dessen Anblick die Augen weh taten. Weil er mit dem Rücken zu mir saß, wurde er hin und wieder eins mit dem ebenfalls weißen Hintergrund, als sei er ein flackerndes Gespenst. Er war stattlich und betörend schön, kurzum ein prächtiges Geschöpf, um das sich jeder Werbefilmer gerissen hätte. Dunstwölkchen umschwebten ihn wie einen heiligen Berg.
    Als ich in ein paar Metern Entfernung vor ihm zum Stehen kam, löste sich weiter hinten ein Nebelschleier auf und entblößte einen riesenhaften, chromblitzenden Käfig, der die detailgetreue Vergrößerung eines Tierkerkers darstellte, wie man ihn in Experimentierlabors verwendet. Darin tobte - wie von tausend Dämonen besessen - Professor Julius Preterius und kicherte irr. Er war in eine Zwangsjacke geschnürt, und um seinen Hals hing ein funkelndes Messingschild mit der Aufschrift: »Professor Julius Preterius / 1981 mit dem Nobelpreis für die beste Schizophrenie ausgezeichnet.« Auch ihn hatte ich nie zuvor gesehen, doch mit derselben Gewi ß heit, mit der ich den Conférencier dieser kuriosen Show sofort erkannt hatte, erkannte ich nun auch meinen guten alten Professor. Im Hintergrund teilten sich weitere Dunstschwaden und legten die Sicht auf ein gewaltiges Heer von Artgenossen frei, die mich sonderbar angrinsten. Gleich in der ersten Reihe befanden sich Blaubart, Felicitas, Kong, Herrmann und Herrmann, Joker, Deep Purple, Solitaire, Sascha und Jesaja.
    Was dann geschah, nahm ich wie in Zeitlupe wahr.
    Der weiße Mörder wandte mir unendlich langsam seinen Kopf zu, und ich blickte geradewegs in die goldgelbe Glut seiner Augen hinein.
    »Ich habe dich endlich gefunden!« sagte ich. Vor Aufregung und Freude war mir fast zum Weinen zumute.
    »Natürlich«, sprach er mit abgrundtiefer Traurigkeit in der Stimme. »Natürlich, lieber Francis. Es war abzusehen, da ß du mich über kurz oder lang finden würdest, denn du bist sogar noch intelligenter als ich. Irgendwann, tja, irgendwann mu ß te es so kommen. Du hast es geschafft, mein Freund, ich bin derjenige, den du die ganze Zeit gesucht hast: Ich bin der Mörder, ich bin der Prophet, ich bin Julius Preterius, ich bin Gregor Johann Mendel, ich bin das ewige Rätsel, ich bin der Mensch und das Tier und ich bin Felidae. All das bin ich in einer Person und noch viel mehr.«
    Erneut hüllten ihn Dunstschwaden ein, die nur von seinen wie glühende Edelsteine leuchtenden Augen durchdrungen wurden. Der Professor randalierte unterdessen in seinem Käfig immer wilder, kicherte verrückt, lallte zusammenhangloses Zeug und hämmerte schließlich seinen Kopf gegen die Gitterstäbe, bis er sich schlimme Verletzungen im Gesicht beibrachte und sein Gehege mit Blut bespritzte. Dann ri ß er den blutbesudelten Kopf in meine Richtung und schrie:
    »Es ist wie die Geschichte von der fleischfressenden Pflanze, die man sich als Sämling ins Haus holt, hegt und pflegt, bis sie eines schönen Tages, hochgewachsen und stark, die gesamte Familie verschlingt!«
    Er fiel wieder in seine wahnsinnige Kicherei zurück. Der Dunstschleier löste sich auf und präsentierte erneut den weißen Mörder in all seiner Herrlichkeit. Er erhob sich im Zeitlupentempo von seinem Platz, wandte sich mir zu und schaute mich entrückt, wie aus den geheimnisvollen Tiefen des Universums an.
    »Alles, was je war und sein wird, besitzt keine Bedeutung mehr, Francis«, sprach er, und seine traurige Stimme hallte unendlich fort. »Wichtig ist nur, da ß du jetzt die Seite wechselst und zu uns kommst, mit uns kommst.«
    Ich war völlig verwirrt und verstand nicht, was er mit diesem rätselhaften Gerede ausdrücken wollte. Eigentlich war ich gekommen, um ihn zu ergreifen,

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