Felipolis - Ein Felidae-Roman
›Do wo de Unsrigen sennen‹.«
»Und was ist, wenn man einer Art angehört, die sich das Fremde stets aufs Neue zur Heimat macht und den Fremden zum Landsmann, Rauschebart?«
Der Mann aus der anderen Zeit lächelte wieder milde und kraulte mich weiterhin hinterm Ohr. »Fürwas denkste, dos ech von dejnerer Art gered hab , Francis? Werf doch amol a Blick noch dorten.« Er streckte die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger über meinen Kopf hinweg. Unwillkürlich folgte ich der Bewegung, doch als ich mich umdrehte, war von dem Dschungel nichts mehr zu sehen. Mein Anno-Tobak-Freund und ich fanden uns im Mittelteil der Insel, in der recht pittoresken Wüste wieder. Hier und dort ragten ein paar krüppelige Baumskelette aus der Erde, die durch die Austrocknung betonhart geworden und in einer Art Wabenmuster aufgesprungen war. Am fernen Horizont erhob sich eine Sanddüne.
Inmitten dieser wie gebacken aussehenden Krustenlandschaft saß Adelheid Kant auf einem antiken Stuhl und starrte uns aus tief liegenden Augenhöhlen blutleer entgegen. Mit dem runzeligen Gesicht, der schlohweißen Haarpracht und dem weißen Rüschenkleid sah sie ein bisschen wie auf dem Gemälde im Foyer der Kantsky -Konzernzentrale aus. Auf ihrem Schoß rekelte sich die wunderhübsche Domino, die Adelheid hingebungsvoll streichelte. Haare und Fell wurden von einem sanften Wind zerzaust. Vor den Füßen der Alten fand ein Massensterben statt. Überall auf dem Wüstenboden zappelten die vielen Kois aus dem Becken. In Ermangelung ihres Lebenselements wanden sie sich hilflos und in grotesken Verrenkungen. Ihre Augen quollen über, die wulstigen Mäuler japsten um die Wette.
… Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen …
»Wenn du jetzt stirbst, dann, dann … (ein herzzerreißender Schluchzer), dann bist du für mich wirklich gestorben, Francis!«
O wie schön, wieder deine Stimme zu hören, Sancta! Hast du mir inzwischen vergeben, Liebste? Es tut mir ja so leid, dass ich dir durch meine Unaufmerksamkeit so wehgetan habe. Und noch etwas muss ich dir beichten, Süße: Zu allem Überfluss war ich dir zwischenzeitlich auch noch untreu, zwar nur in Gedanken, aber dafür volle Kanne. Doch wie dem auch sei, für Entschuldigungen ist es wohl jetzt zu …
»Scheiße nein, der alte Halunke fängt wieder an zu zucken! Guck mal, Junior.«
»Paps, endlich reißt du dich zusammen. Nur weiter so! Ja, so ist es gut. Weiter atmen, weiter atmen, weiter atmen …«
Adelheid Kant begann zu zerbröseln. Es fing mit ihrem Kopf an, der vom Haarwirbel abwärts zu Staub und klitzekleinen Knochenteilchen zerfiel. Die gespenstische Geröllkaskade en miniature griff auf den restlichen Leib über. Im Handumdrehen war der Schädel zur Gänze verschwunden, dann kamen der Hals und der Oberkörper samt der Kleidung dran, und schließlich pulverisierte sich auch der Rest der alten Dame. Zurück blieben auf der ausgedörrten Erde ein Aschehaufen und eine kleine Staubwolke, die das Spektakel umwehte. Und Domino, die auf dem Stuhl thronte wie eine Königin und uns anstelle ihres zerbröselten Frauchens kalt anstarrte.
Während ich noch versuchte, mir auf dieses bizarre Bild einen Reim zu machen, wurde ich jäh abgelenkt, denn das Geschehen hinter Domino erregte meine Aufmerksamkeit. An der Kimme der Düne erhob sich mit einem Mal ein Kordon von Köpfen. Solche mit Fellgesichtern und spitzen Ohren, also eindeutig der Rasse der Felidae zuzuordnen. Nach und nach kamen sie zum Vorschein, Hunderte davon, und bald waren auch die dazugehörigen Körper zu sehen. Aber seltsamerweise entstammten eben diese Körper, die nun die Düne bewältigt hatten und zu unserer Seite herabstiegen, einer gänzlich anderen Art. Vielmehr handelte es sich um Mischwesen zwischen Felidae und Mensch. Die Gesichter selbst konnte ich leicht identifizieren: Herzl, Josef und die kaputten Mitglieder seiner Proletarischen Union, Clint und Smith & Wesson, Sumra von Wechselberg und ihre Luxus-Clique, ja sogar Junior, Blaubart, Sancta und viele andere Nassnasen, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet war. Die menschlichen Körper dagegen waren mir
fremd. Das heißt, nein, denn mit ein wenig Fantasie konnte ich auch ihnen etwas Vertrautes abgewinnen. Mit ihren erlesenen Outfits, den schwarzweißen Chanel-Kostümen und den Fendi-Anzügen ähnelten sie nämlich verdächtig den superreichen Möchtegernerben und sonstigen Hofschranzen aus dem Kantsky -Gebäude. Sie hielten gefüllte Champagner-Kelche in den Händen,
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