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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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zur St.-Helens-Kirche gelangte, ohne Aldgate oder Moorgate benutzen zu müssen – und sich unterwegs vielleicht auch noch ein Bier im Catherine Wheel in der Petticoat Lane genehmigen konnte.
    Heutzutage war in Bishopsgate herzlich wenig von Heiligkeit oder Müßiggang zu spüren. Von der Cheapside herauf fand man dort vorwiegend Banken, Bürobauten und Finanzzentren, nachdem die langsame historische Flutwelle des Monopolkapitalismus alles homogenisiert und platt gewalzt hatte. Aber wenn man Glück und genügend Ausdauer hatte, konnte man die Hauptstraße verlassen und gelangte in einen Irrgarten von Plätzen und Gassen, die aus einer Zeit datierten, als die Stadtmauer Londons noch stand und die Tore abends für den Fall, dass unwillkommene Gäste hereinwollten, geschlossen wurden. Hand Alley. Catherine Wheel. Sandys Row. Petticoat Lane. Altertümliche Namen für altertümliche Orte. Man spürte das Gewicht der Zeit auf seinen Schultern, wenn man dort umherspazierte.
    Aber Oak Court stammte aus der Nachkriegszeit und trug keine Last außer ein paar Litern Tinte und Sprayfarbe, die jemand für uninspirierte Graffiti vergeudet hatte. Drei Stockwerke gelber Klinker mit außenliegenden Laufgängen in jeder Etage und hier und da einem blinden Auge, wo ein Fenster mit vom Regen aufgequollener Hartfaserplatte vernagelt worden war. Außerdem drei Treppen, eine an jedem Ende und eine in der Mitte, getrennt durch zwei Quadrate halbtoten Rasens mit je einer schmiedeeisernen Bank in der Mitte. Es war ein lähmender Ort. Man wünschte sich nicht, zu den Leuten zu gehören, die ihn ihr Zuhause nennen mussten.
    Ich nahm die mittlere Treppe. Der scharfe Gestank von Urin fraß sich durch den stumpferen, aber alles überlagernden Geruch von Schimmel, und das Mauerwerk war dicht über dem Boden schwarz-braun verfärbt – verfärbt und immer noch feucht, als ob das Gebäude an Wunden herumlaborierte, die noch immer nicht verheilt waren.
    Nummer 14 befand sich in der obersten Etage. Ich klingelte, und als ich keinen Laut hörte, klopfte ich an der Tür, aber die Wohnung wirkte verlassen. Auf der unteren Rahmenleiste der türhohen Glasscheibe lag eine dichte Staubschicht, und durch die Scheibe sah ich einen Haufen alter Wurfsendungen von Pizza Hut und Wahlkampfflugzettel der Konservativen Partei. Als ich mir das Datum der letzten Parlamentswahl ins Gedächtnis rief, fiel mir auf, dass es schon sehr lange her war, seit hier jemand gewohnt hatte.
    Ich wandte mich ab und ging zur Treppe. Als ich sie erreichte, sah ich aus sehr alter Gewohnheit noch ein letztes Mal über die Schulter, um sicherzugehen, dass niemand an die Tür gekommen war, während ich mich anschickte, mich wieder zu entfernen. Niemand war erschienen, aber als ich mich wieder umdrehte, spürte ich erneut das vertraute Kibbeln im Nacken, als meine Haare sich sträubten. Es war der Druck neugieriger Augen auf meiner Haut und meiner Psyche.
    Ich wurde beobachtet – von etwas, das bereits tot war.
    Ich konnte nicht sagen, ob mein Bewacher sich in der Nähe oder weit entfernt aufhielt. In diesem Moment befand ich mich auf einem Steg zehn Meter über der Straße und war aus einiger Entfernung zu sehen. Aber Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Ich ging weiter die Treppe hinunter, und dabei holte ich die Flöte heraus und schob sie in meinen Ärmel.
    Auf der Straße war niemand. Ich schlug die Richtung zurück zur Liverpool Street ein und benutzte Fenster, wo immer es ging, um hinter mich zu sehen, ohne den Kopf zu drehen. Nichts deutete darauf hin, dass ich verfolgt wurde.
    Sobald ich um die Ecke gebogen war, sprintete ich los, kam zur nächsten Abbiegung und rannte abermals, diesmal zu einem Schild in fünfzig Metern Entfernung mit der Aufschrift »Matthew’s Sandwich Bar«. Es war ein schmaler Laden, gerade breit genug für die Theke und die Warteschlange, die für einen Sonntagnachmittag bemerkenswert lang war. Ich kam im Laufschritt durch die Tür und stellte mich an, wobei ich der Straße den Rücken zuwandte. Ein Fenster hinter der Theke erlaubte mir, die Straßenecke unbemerkt im Auge zu behalten.
    Etwa eine Minute später tauchte ein Mann auf. Er zögerte, schaute nach links und nach rechts und war sichtlich irritiert. Ein oder zwei Sekunden später folgte ihm ein zweiter Mann, der den ersten überragte wie ein Bulldozer ein Kinderfahrrad. Der erste war Gabe McClennan. Der zweite war Scrub.
    Sie sahen sich noch für einen Moment suchend um, dann berieten sie sich kurz.

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