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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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denn er war zu schnoddrig und schlau, um an irgendetwas zu glauben. Aber in unseren Trinkgesprächen über die Toten – die, die niemals weggingen, und die, die zurückkamen – verwandelte sich dieses Interesse schnell in etwas anderes. Während er meinen erbitterten Atheismus mit seiner eigenen agnostischen, milden Heilsbotschaft (probier’s aus, urteile nicht vorschnell, sieh dir die schönen Bilder an) milderte, lauschte er meinen Beschreibungen Londoner Geister mit einem Enthusiasmus, der viel zu intensiv war, um gesund zu sein. Ich war damals zu dumm und selbstverliebt, sodass ich es nicht erkannte, aber ich lieferte ihm etwas Neues, für das er sich begeistern konnte.
    Ich hängte die Uni kurz nach Beginn meines zweiten Studienjahrs an den Nagel und startete zu dem ziellosen, aber intensiven Rund-um-die-Welt-Bummel, der die nächsten vier Jahre meine Lebens bestimmen sollte: meine Was-gibt-es-noch-was-ich-nicht-gesehen-habe-Tour. Rafi hatte mich mit dem emotionalen Treibstoff für diese Reise versorgt – er hatte mir die Richtung gezeigt, mir den Weg gewiesen und mich auf Trab gebracht –, und das bedeutete rein praktisch betrachtet, dass ich ihm wahrscheinlich mein Leben verdankte. Aber nachdem ich zurückgekehrt war, sah ich ihn zwei weitere Jahre nicht, und als es so weit war, hatte er sich verändert. Er war jetzt einer dieser Typen, die in obskuren Buchläden herumhingen und ein Vermögen für Aleister Crowleys Wäscheliste bezahlten.
    Wir tranken ein bis sieben Bier im Angel in der St. Giles High Street, aber für mich war es eine verstörende, entmutigende Erfahrung. Mich hatte zu Rafi hingezogen, dass er eine Lebensauffassung gehabt hatte, der ich nahekommen und die ich, wenn möglich, imitieren wollte. Nun jedoch wollte er nur über den Tod reden – als Zustand, als Bestimmung, als Quelle, als Fischteich. Er sagte, er lerne gerade, wie man Tote beschwor. Ich antwortete, das sei absoluter Blödsinn. Nur weil einige Menschen Tote sehen und mit ihnen kommunizieren konnten (ich hatte mittlerweile fünf andere Sensitive kennengelernt und von weiteren gehört), hieß das noch lange nicht, dass der Tod auch nur einen Deut weniger unwiderruflich war. Es gab eine Grenze, die jeder von uns nur einmal überschreiten konnte, und wir alle bewegten uns in die gleiche Richtung. Ich hatte noch nie von jemandem gehört, der zurückgekehrt war, um das Gas abzudrehen. Ich redete natürlich totalen Stuss. Aber damals wusste man noch so gut wie nichts von den Zombies, und mir war noch nie einer über den Weg gelaufen.
    Jedenfalls hörte Rafi nicht zu. Er sei einer Sache auf der Spur, und durch sie würden die Dinge, die ich tun konnte, über Nacht nebensächlich werden. »Noch schneller sogar«, wiederholte er und schnippte wild grinsend mit den Fingern vor meiner Nase. »So schnell. Deine Runde.«
    Es war siebenmal meine Runde, und ich fand darin hinterher ein wenig Trost. In einer Hinsicht hatte Rafi sich nicht verändert. Er war noch immer ein eleganter Parasit, der es schaffte, einem das Gefühl zu geben, man müsse ihm dankbar sein, während er einen anschnorrte. Möglicherweise war der Ditko-Kern unter all diesem Unfug immer noch intakt. Vielleicht konnte er diese Phase heil überstehen und etwas anderes finden, wofür er sich begeistern konnte.
    Das nächste Mal sah ich ihn im Frühling 2004. Ein Anruf um Mitternacht holte mich zu einer Atelierwohnung in der Seven Sisters Road, wo Rafi zusammengesunken und mit leeren Augen in einer löwenfüßigen Badewanne mit laufenden Wasserhähnen saß. Seine Freundin, spindeldürr und besoffen, mit der Art flaumweißen Haars, die mich stets an Narzissenblüten erinnerte, musste alle zehn Minuten, wenn das Wasser zu kochen begann, einige Pakete Eiswürfel aus dem Schnapsladen in die Wanne kippen.
    »Rafi hat einen Zauber gewirkt«, sagte sie. »Irgendetwas gottverdammt Großes.« Er hatte einen Geist gerufen, aber irgendetwas war schiefgegangen, und statt im Kreis zu landen, war der frei umherschweifende Geist in ihn gefahren. Danach begann er zu verbrennen.
    Ich saß die ganze Nacht bei ihm, hörte ihm zu, wie er dem Klang nach in vier verschiedenen Sprachen faselte und wütete und versuchte, mir ein Bild von dem Geist zu machen, der in ihm steckte. Gegen sechs Uhr morgens ging uns das Eis aus, und ich hatte Angst, dass er, wenn ich noch viel länger wartete, von innen her verbrannte. Daher holte ich meine Tin Whistle heraus, schickte das Mädchen aus dem Zimmer und

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