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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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begann zu spielen. Es funktionierte folgendermaßen: Die Musik war ein Zaubertrick, und wenn er klappte, dann hatte die Musik auf körperlose Geister die gleiche Wirkung wie Fliegenfänger auf Fliegen. Die Geister verfingen sich darin und konnten sich nicht befreien. Wenn aber die Musik verstummt, Abrakadabra, hatten sie nichts mehr, woran sie sich festhalten konnten – daher fanden auch sie ein Ende. Wenn der letzte Ton verklang, waren sie fort.
    Wenn das einfach klingt, dann schreiben Sie es der Tatsache zu, dass ich mein Englischstudium nicht beendet habe. In Wirklichkeit war es hart und schleppend, und es funktionierte nur, wenn ich den infrage kommenden Geist in den Griff bekam. Je deutlicher mein mentales Bild von ihm war, desto besser war die Melodie und desto zuverlässiger war ihre Wirkung.
    In diesem Fall hatte der Geist eine so starke Präsenz, dass er fast wie Rauch war, der von Rafis überhitzter Haut aufstieg. Ich dachte, ich hätte ihn festgenagelt. Ich setzte die Flöte an und spielte noch ein paar weitere Töne, hoch und schnell, um den Versuch zu starten.
    Es hätte genauso gut eine Pistole sein können – etwas Großes und Schweres wie ein.38er Trooper zum Beispiel –, die auf Rafis Kopf zielte.
    *
    Ich saß auf dem Silberstahlboden der Zelle, während die eisige Kälte des Metalls langsam an meiner Wirbelsäule aufwärtskroch. Eine Krankenschwester rief etwas in der Ferne, etwas Fröhliches und höchstwahrscheinlich Obszönes, und eine Tür schlug heftig zu.
    Rafis schwarze Augen schlossen und öffneten sich wieder und fixierten mich in ihren trägen, wahnsinnigen Fadenkreuzen. Ein Geruch von altem Fleisch wehte von ihm herüber, was geschah, weil ich soeben aus meinem Büro über Grambas Dönerladen kam: Eines der Anzeichen für Asmodeus’ Präsenz war, dass Rafi nach dem Ort zu riechen begann, an dem man sich zuletzt aufgehalten hatte, was eines der typischen Spielchen des Dämons war.
    »Du wirst sterben«, sagte er wieder, fast geistesabwesend, und drehte ein paar Karten seines ausgebreiteten Spiels um.
    »Du irrst dich«, antwortete ich mit einem verfrühten Gefühl der Erleichterung. »Man hat mir heute einen Job angeboten – aber ich habe abgelehnt.«
    »Natürlich«, knirschte die nach zerbrochenem Glas klingende Stimme wieder mit ätzendem Spott. »Du trauerst immer noch um deinen alten Freund, nicht? Du hast dir geschworen, nicht schon wieder denselben Fehler zu machen. ›Zuvörderst tu nichts Böses‹ – was in deinem Fall ›Tu überhaupt nichts‹ heißt.«
    Rafis Zunge schlängelte sich heraus, schabte über die Ränder seines Mundes und erzeugte dabei ein Geräusch wie alte Zeitungen, die ein starker Wind über die Straße weht. Ich erkannte plötzlich, dass seine Lippen trocken und rau waren. Flocken verdorrter Haut hingen daran wie unregelmäßig verteilter Streuzucker. Ich hätte es schon vorher bemerken müssen. Es war ein weiteres Zeichen, nach dem ich gewöhnlich Ausschau hielt, und es bestätigte, was ich bereits an Rafis Geruch wahrgenommen hatte. Es bedeutete, dass ich jetzt definitiv mit Asmodeus sprach und Rafi nicht mehr auftauchen würde, es sei denn, der Dämon gestattete es ihm.
    Langsam, versonnen, brachte er sich mit dem Daumennagel einen langen Riss im Unterarm bei. Blut quoll hervor und troff auf den Zellenboden. Ich ignorierte es. Asmodeus tat solche Dinge um des Showeffekts willen, aber er machte den Schaden anschließend stets rückgängig. Er hatte ein persönliches Interesse daran, Rafis Körper in funktionsfähigem Zustand zu erhalten.
    »Es ist sowieso zu spät, etwas zu tun«, murmelte er mehr zu sich als zu mir. »Das große Ganze – das ist bereits mehr oder weniger klar, und es ist nicht so, dass du auch nur halbwegs die richtigen Fragen stellst …«
    Schweigen trat ein. Als er wieder sprach, hatte er eine andere Stimme, fast flüssig, ein Flöten, das heimtückisch und unangenehm war.
    »Du hast Nein gesagt. Aber es läuft so: Du wirst es dir anders überlegen. Dessen bin ich mir beinahe sicher. Weißt du, Zeit verhält sich für meinesgleichen anders, womit ich meine, sie verstreicht langsamer. Mir kommt es vor, als wäre ich schon seit tausend Jahren hier gefangen. Ich muss etwas tun, um meine Dominanz zu erhalten, verstehst du? Also dringe ich in Dinge ein. Begebenheiten, die kurz davor sind stattzufinden. Dinge, die vielleicht über den Rand des Möglichen schwappen und die Teppiche des Realen besudeln. Ich weiß, wovon ich spreche. Auf

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