Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
wahr?«
Er ließ die Tür hinter sich zufallen, und ich war allein. Das war unerfreulich. Wenn ich mit meiner Vermutung richtiglag, dass es zwischen dem Geist und diesem Raum, der Sammlung, eine Verbindung gab, dann sprach sie höchstwahrscheinlich Russisch, und Clitheroe hätte das bestätigen können. Aber wenn Gott von uns gewollt hätte, dass wir an einem Tag einen Berg besteigen, dann hätte er einen Fahrstuhl eingebaut.
Ich versuchte mit einigen weiteren Melodien, den Geist hervorzulocken: Er biss nicht an. Es gab eine naheliegende Alternative, aber ich zögerte, damit schon jetzt zu beginnen: All die Tausenden von Glückwunschkarten und Briefen nach einem flüchtigen emotionalen Fußabdruck zu durchsuchen war nicht allzu verlockend und würde noch nicht einmal funktionieren, solange ich keine lebhaftere Vorstellung von dem Geist hatte. Wie die Dinge lagen, würde ich, falls ich fand, wonach ich suchte, es noch nicht einmal erkennen.
Gegen sechzehn Uhr schaute Alice nach mir.
»Jeffrey will wissen, wie weit Sie gekommen sind«, sagte sie und blieb dabei in der Türöffnung stehen. Sie schien eine Vorliebe für Türöffnungen zu haben. Oder sie hatte sie nur, wenn ich im Raum war.
»Ich arbeite noch an den Ausgangspunkten«, sagte ich.
»Was bedeutet das?«
»Ich versuche herauszufinden, was oder wen genau der Geist heimsucht.«
Alice legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. »Ich dachte, er sucht uns heim«, sagte sie. »Habe ich etwas falsch verstanden?«
Ich nickte und bemühte mich um Klarheit. »So einfach ist das nicht«, sagte ich. »Jedenfalls nicht immer. Ich denke, er ist damit hereingekommen …« – ich wies auf die Karten und Briefe auf dem Tisch –, »… aber selbst wenn, dann wird es nicht leicht sein, den genauen Angelpunkt zu finden. Offensichtlich wandert er oft durch das Gebäude – aber das Parterre ist sein bevorzugtes Revier. Das heißt, wir können wahrscheinlich davon ausgehen, dass er an irgendetwas hier unten gebunden ist. Ich versuche herauszubekommen …«
»Kann ich ihm ausrichten, dass Sie Fortschritte gemacht haben?«, unterbrach Alice mich. »Oder dass Sie sich noch umsehen?«
»Ich bin dem Geist begegnet«, entgegnete ich, und ich gewahrte zu meiner tiefen Befriedigung, dass sich ihre schmalen Augen ein wenig weiteten. »Das ist ein Anfang, aber es war nur ein kurzer Kontakt, und ich bekam nur die Andeutung eines Eindrucks von ihr. Wie ich sagte, es ist noch früh.«
Sie trat in den Raum und legte sechs Fünfzigpfundnoten sowie eine Quittung zum Unterschreiben und einen Stift vor mir auf den Tisch.
»Viel Spaß«, sagte sie unfreundlich. »Niemand kann behaupten, Sie hätten es sich nicht verdient.«
*
Kurz nach sechzehn Uhr dreißig machte ich Feierabend. Der Geist verhielt sich noch immer scheu, und im Haus wurde es von Minute zu Minute kälter. Die Heizung war offensichtlich an eine Zeitschaltuhr gekoppelt, auch wenn das auf das Personal nicht zutraf.
Alice begleitete mich durch das Labyrinth zurück in die Lobby, wo Frank meinen Mantel von der Garderobenstange nahm, an die er ihn am Vormittag gehängt hatte. Er gab Alice zwei FedEx-Pakete, und sie blieb gerade lange genug, um den Empfang im Posteingangsbuch zu quittieren. Während ich die Flöte an ihrem angestammten Platz verstaute, kamen die anderen in einer Gruppe vorbei. Cheryl blieb stehen.
»Ich hatte am Samstag Geburtstag«, sagte sie.
»Glückwunsch!«
»Danke! Ich lade zu ein paar Drinks ein. Wollen Sie mitkommen?«
Es wäre taktlos gewesen abzulehnen, daher sagte ich Ja. Erst danach bemerkte Cheryl Alice, die am Ende des Pults immer noch für ihre Pakete unterschrieb.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Sie sind natürlich auch herzlich eingeladen, wenn Sie mitkommen mögen.«
Sogar ich hörte, dass sie es nicht ernst meinte. »Nein, danke«, antwortete Alice, ihr Gesicht jetzt eine ausdruckslose Maske. »Ich habe hier noch eine Stunde zu tun. Viel Spaß und einen schönen Abend!«
6
R ich und Jon warteten schon auf der Straße und fielen mit uns in Gleichschritt. Jon reagierte nicht auf mein Dabeisein, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er darüber besonders erfreut war.
Wir gingen in einen brauereifreien Pub in der Tonbridge Street, wo man augenscheinlich nicht wusste, was man mit dieser Freiheit anfangen sollte, zumindest deutete die dürftige Bierauswahl darauf hin. Ich entschied mich für ein Pint Spitfire, das aus den ansonsten wenig glanzvollen Möglichkeiten hervorstach.
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