Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Raum auf dem Hauptflur gegenüber dem Arbeitsraum auf. Cheryl setzte sich auf eine Tischkante und ließ die Beine baumeln, und ich bereitete mich darauf vor, die eine Hälfte der Guter-Cop-böser-Cop-Nummer zu spielen. Aber sie kam mir mit einer Frage zuvor.
»Was, wenn Geister anfangen würden, reale Menschen zu exorzieren?«, wollte sie wissen.
Das machte mich für einen Augenblick sprachlos. »Bitte?«, fragte ich.
»Ich habe nur übergelegt. Wenn sie anfingen, sich zu wehren, würden sie doch bei Ihnen anfangen, nicht wahr? Sie würden sich Typen aussuchen, die ihnen zum Schaden gereichen können. Dann wäre der Rest von uns ihnen hilflos ausgeliefert.« Sie erwärmte sich für ihr Thema. »Sie sollten möglicherweise einen Assistenten schulen, und wenn Sie dann sterben, kann der die Gespenster suchen, die Sie abserviert haben, und Sie rächen.«
»Wollen Sie sich freiwillig melden?«, fragte ich.
Cheryl lachte. »Das könnte ich«, sagte sie. »Es würde mir Spaß machen, um ehrlich zu sein. Können Sie Abendkurse veranstalten?«
»Nur Fernkurse. Per Ouija-Brett.«
Sie schnitt ein Gesicht. »Hahaha.«
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«, fragte ich sie.
»Cheryl Telemaque. Katalogredakteurin, erste Klasse. Computer-Login-Nummer dreiunddreißig.«
»Wie lange?«
Sie verdrehte die Augen. »Seit einer Ewigkeit!«, sagte sie mit zunehmender Lautstärke. »Im Februar sind es vier Jahre. Ich kam eigentlich her, um einige Indizierungsarbeiten durchzuführen. Drei Monate sollte es dauern.«
»Also gefällt Ihnen die Arbeit als Archivarin?«
»Ich bin hängen geblieben, nehme ich an.« Sie klang jetzt auf drollige Art verdrießlich. Ihre Stimme hatte Schauspielerniveau, und ich hatte Mühe, nicht zu lachen. »Ich war in der Schule gut in Geschichte, daher studierte ich das Fach bis zum Abschluss – am King’s. Das an sich war recht bemerkenswert, wissen Sie? Nicht viele Jugendliche von der South Kilburn High gehen auf die Uni, jedenfalls nicht aus meinem Jahrgang. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es am Ende mein Beruf werden würde, wissen Sie?« Sie sah mich an wie ein Mittelstürmer, wenn der Schiedsrichter ihm die Rote Karte zeigt. »Ich meine, es gibt nicht viele Arbeitsfelder im Bereich Geschichte. Aber ich fand keinen Job und wollte weiterstudieren, doch ich hatte bereits zwölftausend Pfund Schulden für meinen BA, daher wollten sie mir kein Darlehen geben. Dann bot man mir diesen Job an – als Katalogredakteurin, nicht als Archivarin –, und mein Stiefvater meinte, ich solle zugreifen.« Cheryl kramte für einen Augenblick stirnrunzelnd in ihrer Erinnerung. »Ich denke, er war damals mein Stiefvater. Wie auch immer, es war Alex – der Freund meiner Mutter. Dann ihr dritter Gatte. Zur Zeit ihr Ex.«
»Ist das wichtig?«
»Ich behalte gern den Überblick. Wissen Sie, was Tracey Emin tat? Sie stickte die Namen ihrer Liebhaber in die Bettdecke. Na ja, wenn meine Mutter das täte, bräuchte sie eine Decke groß wie ein Zirkuszelt.«
Ich merkte, dass für jemanden mit einer methodischeren Arbeitsweise oder einem engeren Zeitbudget ein Gespräch mit Cheryl schnell zu Mord oder Wahnsinn führen könnte. Einstweilen spielte ich mit, da ich vermutete, dass sie mich mit ihrer ständigen Alberei nur gebeten hatte, sie auszufragen, weil sie mir etwas zu erzählen hatte.
»Demnach kamen Sie 2001 hierher«, fragte ich ernst.
Sie lächelte bei der Erinnerung. »Letztlich ja. Ich habe ein Motto, wissen Sie? Man darf nie sagen, man mag etwas nicht, wenn man es nicht ausprobiert hat. Aber diesmal wollte ich einfach nicht. Wir hatten einen Riesenkrach deshalb. Ich sagte, ich ginge lieber anschaffen, als in einer verdammten Bibliothek zu arbeiten, und Alex meinte, er würde mich mit seinem Gürtel verprügeln, wenn ich das täte.«
»Aha …«
»Ich antwortete ihm, ich hätte nicht erwartet, so schnell meinen ersten Kunden zu finden.« Das Lächeln verflog plötzlich, und sie wurde völlig sachlich. »Jedenfalls brauchte ich danach dringend einen Job, weil meine Mutter mich rauswarf. Also bewarb ich mich auf diese Stelle, und vier Jahre später bin ich noch immer hier.«
»Was tut eine Katalogredakteurin?«
»So gut wie alles. Neue Materialien sortieren. Dateneingabe. Benutzerbetreuung. Die meiste Zeit ist es gottverdammte Retrokonversion.« Cheryl sprach das Wort aus, als wäre es eine Art Giftmüll. »Die Eingabe alter Karteien in die Datenbank. Sehen Sie, von vielen Materialien gibt es nur
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