Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Emotionen, die ich wahrnahm, waren bisher Ihre.«
Tilers Augen wurden groß, und sein Blick richtete sich auf mich.
»Was meinen Sie?«, jaulte er. »Das ist nicht wahr. Ich habe überhaupt keine Emotion gezeigt. Ich habe nichts getan!«
»Sie strahlen Bitterkeit aus«, sagte ich.
»Nein!« Er war entrüstet. »Ich mag nicht, was fortwährend um mich herum vorgeht, das ist alles. Ich möchte meine Arbeit erledigen und einfach …« Er rang nach Worten. »… in Ruhe gelassen werden. Das hat nichts mit mir zu tun. Ich will nur, dass alles wieder seine Ordnung hat.«
»Nun, deshalb bin ich hier«, antwortete ich, »und je mehr ich über den Geist in Erfahrung bringen kann, desto schneller werde ich fertig. Warum erzählen Sie mir nicht für den Anfang von Ihren Begegnungen mit ihm? Wann war die letzte?«
»Am Montag. Sobald ich hereinkam.« Tiler war noch immer widerspenstig, aber etwas in ihm hatte sich gelockert. Er fuhr fort, ohne dass ich ihn dazu drängte. »Ich war unten im Magazin und spürte sie. Ich meine, wissen Sie, ich fühlte, dass sie da war, und war ein wenig außer Fassung wegen dem, was mit Rich geschehen war, daher sah ich sofort zu, dass ich von dort verschwand. Sie kam auf mich zu, und es wurde – es fühlte sich kalt an. Eiskalt. Ich konnte meinen Atem sehen. Ich weiß nicht, ob das wegen ihr war oder ob es nur …« Seine Stimme versiegte. »Ich machte mich schnellstens aus dem Staub«, sagte er düster, und sein Blick wanderte auf den Fußboden.
»Wie sieht der Geist aus?«, fragte ich ihn.
Er sah mich verblüfft an.
»Sie sieht nicht wie irgendetwas aus«, sagte er. »Ihr Gesicht ist verschwunden. Die obere Hälfte jedenfalls. Da ist nichts.«
»Als Mister Peele mir den Geist beschrieb, sagte er, er habe einen Schleier getragen …«
Tiler schnaubte. »Es ist kein Schleier. Es ist nur rot. Das ganze Gesicht bis auf den Mund ist rot. Sie sieht aus wie einer dieser Leute, die in TV-Sendungen auftreten und anonym bleiben wollen, weswegen man ihre Gesichter verpixelt. Es ist nur ein großer roter Fleck, hinter dem ihr richtiges Gesicht versteckt ist.«
»Was ist mit dem restlichen Körper?«
Darüber dachte er einen Augenblick nach. »Da ist nur ihre obere Hälfte. Sie ist ganz weiß. Glänzend. Man kann durch sie durchsehen, und sie wird unten herum immer schwächer, sodass man ab hier …« Er deutete vage auf seinen eigenen Oberkörper. »… nichts mehr erkennen kann.«
»Bekleidung?«
Er zuckte die Achseln. »Sie trägt eine Kapuze. Sie ist ganz in Weiß. Sie verschwimmt dauernd. Man kann nicht viel sehen.«
Nach einigen weiteren Fragen ließ ich Tiler gehen. Er schien mir nichts zu verschweigen, aber dennoch musste ich ihm jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen.
Danach unternahm ich einen Streifzug. Man hatte jeden Kubikzentimeter des Bauwerkes in einen nutzbaren Raum verwandelt, aber es war offenbar stückchenweise geschehen, ohne einen Gesamtplan und mit der Bereitschaft, in jede Wand, die im Weg stand, eine neue Tür einzusetzen oder einen Flur drum herum zu bauen oder über alles, was sich nicht verschieben ließ, eine Treppe anzulegen, und es schien, als wären die Arbeiten noch im Gange. Im vierten Stock waren die Räume vorwiegend leere Höhlen, und auf der Treppe war Baumaterial gestapelt. Die Balkongeländer hatte man entfernt, um Platz für einen Flaschenzug zu schaffen, und mehrere Palettenladungen Ziegelsteine hatte man bereits heraufgehievt.
Mein Rundgang durchs Gebäude dauerte etwa eine Stunde und führte mich wieder zurück ins Erdgeschoss, wo die russische Sammlung lagerte. Wie vorher ausgemacht erwartete Rich mich und ließ mich ein. »Sie können die Tür einfach hinter sich zuschlagen«, sagte er. »Wenn Sie wieder gehen, meine ich. Sie schließt automatisch, und Sie können sie nicht mehr öffnen. Viel Erfolg, Partner!« Er ging zur Tür. Ich hatte ihn noch etwas fragen wollen, aber ich konnte mich für einen Augenblick nicht mehr daran erinnern. Dann fiel es mir wieder ein, kurz bevor er verschwand.
»Rich«, rief ich. »Hat der Geist je mit Ihnen gesprochen?«
Er schüttelte energisch den Kopf. »Nie, Kumpel. Sie hat kein Wort zu mir gesagt.«
»Cheryl sagte, sie habe sehr viel gesprochen. Dann habe es aufgehört.«
Rich nickte. »Das stimmt. Ein paar Leute erzählten, sie hätten sie während der ersten Wochen sprechen gehört. Jetzt geht sie nur noch mit Scheren auf Leute los. Das ist sicher besser, als alles in sich hineinzufressen, nicht
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