Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
gewissen Punkt lieferte es einen angemessenen Eindruck dessen, was einen darin erwartete, nämlich die Begegnung mit nicht ganz menschlichen Kreaturen, die Vergeudung unendlicher Zeitreserven und solche Dinge. Ich ging durch den Eingang in der Judd Street und wurde gleich wieder hinausgeschickt. Die Planung befand sich am anderen Ende des Gebäudes und war über die Argyle Street zugänglich. Die Götter der Kommunalverwaltung wären verärgert, wenn ich einfach hindurchginge, und es würde damit enden, dass man meine Anlieger-Parkerlaubnis widerrief und mir eine Rechnung über sieben Riesen und meine unsterbliche Seele präsentierte.
Tatsächlich arbeitete das System erstaunlich gut, zumindest anfangs. Ich wusste, ich musste auf einen Misserfolg vorbereitet sein, aber ich nahm es hin. Die Planungsabteilung war teilweise zu papierlosen Akten übergegangen. Ein halbes Dutzend Terminals waren im Foyer aufgestellt, wo man sich hinsetzen, eine Adresse eintippen und sich eine gesamte Planungsgeschichte zeigen lassen konnte. Als ich an Cheryl dachte, konnte ich einen kurzen Augenblick des Mitleids erübrigen mit all denen, die irgendwo in den Eingeweiden des Gebäudes saßen und die Vergangenheit aufarbeiteten.
»Sie werden nicht alles kriegen«, erklärte mir ein arroganter junger Angestellter mit Akne, der weniger aussah wie ein Bösewicht aus Doctor Who , sondern eher wie der Junge in einer Teenager-Ekelkomödie, der am Ende nicht das Mädchen kriegte, sondern dem bei der Schulabschlussfeier die Hose runterrutschte. »Es gibt nur dann einen Eintrag, wenn die Veränderungen am betreffenden Gebäude seit Ende der Vierzigerjahre durchgeführt wurden – das ist die Zeit, als das Bauantragssystem eingeführt wurde. Wenn Sie kein Datum wissen, könnten Sie hier sehr lange hängen bleiben.«
Aber ich war nicht wählerisch, und es stellte sich heraus, dass es eine ganze Menge Dokumente über 23 Churchway, Somers Town, gab, eins davon sogar aus dem Jahr 1949. Es war eine Bitte um die Genehmigung, Bombenschäden an Dach, Fassade und der rechten Außenmauer zu reparieren. Damals gehörte das Gebäude dem Kriegsministerium, aber Mitte der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts, als ein Antrag auf Erweiterung des hinten liegenden Teils eingereicht wurde, war es eine »Dependance der British Library«. Danach nichts bis1983 , als es ein Gesuch um eine neuerliche Erweiterung und ein Dokument über eine Nutzungsänderung gab. Jetzt kam Nummer 23 unter örtliche Verwaltung und beherbergte ein Büro für Arbeitslosenunterstützung und das Arbeitsamt. Es war die Thatcher-Ära. Arbeitslosigkeit boomte. Ein letzter Antrag von 1991 betraf Bauarbeiten im Inneren des Hauses. Ich nahm an, damals hatten sie all die kahlen, brutalistischen Steintreppen, die falschen Wände und die Blindkorridore eingebaut. Es gab nichts über die Arbeiten, die zurzeit durchgeführt wurden, aber vielleicht waren schriftliche Unterlagen darüber woanders gespeichert.
Das war, was ich online fand. Jetzt musste ich einige Antragsformulare ausfüllen und an einem kleinen Pult im Hauptplanungsbüro einreichen. Das Büro war ein großer Raum im ersten Stock, den eine lange Theke mit Resopalplatte in zwei Hälften teilte, und dort herrschte ein Betrieb wie bei einer Viehauktion. Die meisten Besucher waren Männer in Arbeitsoveralls, die sich behördliche Stempel auf eilig aufgesetzte Dokumente holten. Außerdem waren dort viele Angestellte aus anderen Teilen des Gebäudes, die Formulare abhefteten oder entnahmen oder vielleicht auch nur Duftstoffe austauschten wie Arbeiterameisen.
Ich wartete fast anderthalb Stunden, bis eine ernste Dame in mittleren Jahren mit einem Gesicht wie aus einem Far Side -Comic mit einem Paket für mich zurückkam. Es war ein Satz Fotokopien der ältesten Pläne von 23 Churchway – die, die damals im Jahr 1949 abgeheftet worden waren – und die jüngsten aus den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Ich glaubte, mit diesen festen Punkten als Arbeitsgrundlage die Lücken füllen zu können.
So weit, so gut. Ich beugte das Knie vor den dunklen Göttern und sah zu, dass ich schnellstens nach draußen kam. Meine nächste Station war die British Newspaper Library in Colindale. Ein Thameslink-Zug von King’s Cross brachte mich nach Mill Hill, und während der Fahrt dorthin warf ich einen Blick auf die Baupläne. Wie erwartet waren in die Pläne von 1991 sämtliche neuen Treppen und Korridore und Feuerschutztüren eingetragen. Sie waren so klein und
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