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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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kompliziert, dass sie aussahen wie ein Labyrinth in einem Rätselbuch für Kinder: »Helft Onkel Felix, vom Büro zu dem vom Geist heimgesuchten Tresorraum zu gelangen – nehmt euch dabei vor dem bösen Mr Peele in Acht.« Im Gegensatz dazu waren die Pläne von 1949 streng, einfach und klar und enthielten weniger als die halbe Anzahl von Räumen. Die Institution war gewachsen und hatte sich bis zu einem Punkt verändert, an dem der ursprüngliche Architekt wahrscheinlich die Pläne gebraucht hätte, um nur den Ausgang zu Straße zu finden.
    Ich kannte das Bauwerk nicht gut genug, um den Raum zu lokalisieren, wo die russische Sammlung aufbewahrt wurde, aber das Parterre insgesamt war anscheinend nach einem groben, aber brauchbaren Plan überarbeitet worden. Man hatte jeden der ursprünglichen Räume in der Mitte geteilt, daher war jede zweite Wand eine neue Trennwand aus Rigips. Die ursprünglichen Türen, zu breit für die kleineren Räume, hatte man zugemauert und neue, schmalere Türen eingesetzt. Eine Seitentreppe, die auf den Originalplänen erschien, hatte man weggerissen. Man hatte den Raum ausgeschlachtet, um Platz für kleine Kabinen zu schaffen, höchstwahrscheinlich Toiletten und Lagerschränke. Gleichzeitig hatte man die schmalen Treppen, die ich in situ gesehen hatte, angelegt und in den neuen Grundriss überall dort eingefügt, wo eine Lücke zu schmal für einen Raum war. Der Gesamteffekt war niederschmetternd. Es war, als läse man die taktischen Anweisungen zur Schändung einer Leiche.
    Von Mill Hill legte ich das letzte Stück des Wegs zu Fuß zurück – doch dann vergaloppierte ich mich und wanderte plötzlich am Gelände der Metropolitan Police Training Academy vorbei, auf dem es von Grundschulkindern wimmelte, die Fahrrad fahren lernten. Eine junge Frau blickte sehnsüchtig durch den Maschendrahtzaun auf die Kinder, die durch einen Irrgarten aus orangefarbenen Plastikpollern kurvten. Sie wandte sich zu mir um. Ihre Haut hatte eine blasse Farbe, und ich nahm einen schwachen süßsauren Modergeruch wahr, den sie verströmte. Sie war eine Zurückgekehrte. Ihre mit Schmutzflecken übersäte Jeans, ihr Sweatshirt und die vereinzelten trockenen Grashalme in ihrem Haar lieferten einen ziemlich deutlichen Hinweis darauf, wo sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatte.
    »Ich warte immer noch«, sagte sie.
    Ich hätte weitergehen sollen, aber ihr Gesicht erinnerte mich an das Gesicht des alten Seemanns aus Samuel Taylor Coleridges gleichnamiger Ballade. Ich war der eine der drei im Gedicht Genannten.
    »Worauf?«, fragte ich.
    »Auf die Kinder. Ich sagte, ich würde hier sein, wenn sie zurückkommen.« Ein Krampf lief durch ihr faltiges Gesicht – Missbehagen, Besorgtheit oder etwas rein Physiologisches. »Mark sagte etwas von einem Auto. Da war ein Auto. Sie haben sich die Nummer nicht gemerkt.« Eine bleischwere Pause. »Ich sagte ihnen, ich würde hier warten.«
    Mit dem Klang ausgelassener Rufe und fidelen Gelächters in den Ohren ging ich weiter. Ich drehte mich um. Sie starrte wieder durch den Zaun, ihre Arme hingen an den Seiten herab, ihr Gesicht war eine ernste Maske, und sie versuchte, die Runen eines Lebens zu lesen, das nicht das ihre war.
    Zwei Minuten später betrat ich die kathedralengleiche Stille des Zeitungsarchivs, in dem es roch wie in einer Welt ungewaschener Achselhöhlen, die von fünf Watt starken Lichtleisten erhellt wurde, die garantierten, dass die alten Zeitungen nicht litten, während sie es zugleich erlaubten, sie zu lesen.
    Höchstwahrscheinlich vergeudete ich hier meine Zeit, aber ich musste das Offensichtliche ausschließen können, ehe ich nach esoterischeren Antworten zu suchen begann. Wenn das Bonnington-Archiv auf einem alten indianischen Friedhof erbaut worden war oder wenn jemand im Verlauf eines obszönen nekromantischen Rituals damals in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als solche Dinge als hip galten, das gesamte Personal abgeschlachtet hatte, wäre ich mir ziemlich dumm vorgekommen, wenn es mir entgangen wäre.
    Man konnte dieses Material mittlerweile an anderen, angenehmeren Orten einsehen, aber die Colindale Library hatte noch immer den umfangreichsten Index, den ich kannte, und einen Stapel alter Zeitungen auf Mikrofilmkarten, die zurückreichen in die graue Vorzeit – wahrscheinlich zu Schlagzeilen wie »Eins aufs Auge für Harold«.
    Aber Churchway, Somers Town, hatte es in all den Jahren nicht in die Schlagzeilen geschafft. Es schien ein Ort zu

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