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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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technikversessener Verschwörungstheoretiker, der das Internet aufschnitt, um seine Eingeweide zu lesen; ein Paranoiker, der glaubte, dass jede Nachricht, die je geschickt wurde, jedes Wort, das je geschrieben wurde, sich letztlich mit ihm befasste. Er sah die Welt als Netz. Ein kommunales Netz, das eine Ansammlung von Spinnen gewoben hatte. Wenn man eine Fliege war, sagte er, sei die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben, zu vermeiden, dass man mit einem der klebrigen Fäden in Berührung kam, keine Spur zu hinterlassen, die zu einem zurückverfolgt werden könne. Natürlich lebte er nicht mehr – dafür hatte ein Herzinfarkt im reifen jungen Alter von sechsunddreißig gesorgt –, aber seine Ansichten hatten sich nicht geändert.
    »Schön. Was sehe ich?«, wollte ich wissen und versuchte, Zeit zu schinden, während ich die Kurven auf seinem Computermonitor betrachtete. Da war eine rote Linie und da eine grüne. Es gab eine X-Achse, die in Jahre unterteilt war, und eine Y-Achse, die überhaupt keine Markierung trug. Die beiden Linien verliefen dem Anschein nach grob synchron.
    »Das ist der FTSE-100-Leitindex«, sagte Nicky und fuhr mit der Fingerspitze an der grünen Linie entlang. Sein Fingernagel war mit kohlenähnlichem Dreck beschmiert. Höchstwahrscheinlich Schmieröl. Er hatte einen eigenen Generator, den er von einer Baustelle gestohlen hatte. Er wollte aus oben erwähnten Gründen keinen Strom aus dem nationalen Netz beziehen. In Nickys Welt war Unsichtbarkeit die wahre und vielleicht einzige Tugend.
    »Was ist mit der roten Linie?«, fragte ich und stellte die Flasche Margaux ab, die ich für ihn bei Oddbins erstanden hatte. Nicky trank den Wein nicht. Er produzierte keine Magenenzyme mehr, daher war er unfähig, ihn zu verdauen. Er sagte jedoch, er könne ihn riechen – und er hatte eine außerordentlich empfindliche Nase für das teure Zeug entwickelt.
    Er warf mir einen Blick zu, als wollte er sich verteidigen. »Das ist eine Art Artefakt«, gab er zu. »Die Linie stellt die ersten und letzten Lesungen der Pro-EU-Gesetze oder je eine Erklärung eines Regierungsbankvertreters zugunsten der gesamteuropäischen Integration dar.«
    Ich beugte mich vor, um mehr erfassen zu können. Nicky duftete nach Old Spice und Balsamierungsfluid. Nicht nach Verwesung, denn sein Körper war weniger ein Tempel als vielmehr eine Festung, und kein Riss in einer Festung durfte als klein und harmlos gelten. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn er seine Geräte unten im Hauptzuschauersaal aufgebaut hätte, der, was die Belüftung betrifft, über mehr Durchzug verfügte.
    »Gut«, sagte ich. »Die rote Linie ist etwas phasenverschoben. Sie hat ihre Spitzen früher.«
    »Früher, richtig, richtig«, stimmte Nicky zu und nickte aufgebracht. »Meist zwei oder drei Tage früher. Manchmal sogar bis zu einer Woche. Wenn man die Rezessionskurve zeichnet, ist die Kongruenz noch größer. Jedes Mal, Fix. Jedes gottverdammte Maria-voll-der-Gnaden-Mal.«
    Ich versuchte, es zu kapieren. »Demnach behauptest du …?«
    »Dass da eine kausale Verbindung besteht. Ganz deutlich.«
    Ich runzelte die Stirn und versuchte auszusehen, als dächte ich ernsthaft darüber nach. Nicky beobachtete mich erwartungsvoll. »Wie läuft das?«, fragte ich.
    Er erklärte es nur zu gern. »Folgendermaßen: Satan schwört auf den Föderalismus, denn das ist seine bevorzugte Arbeitsweise. Es ist, weißt du«, sagte er und beschrieb eine vage, aber nachdrückliche Geste, »als dirigiere man den Sündenfall, indem man nur Adam und Eva verdirbt. Je mehr Nationen der Welt unter einer Herrschaft stehen, desto einfacher wird es für die höllischen Mächte, direkte Kontrolle über das ganze Spektakel auszuüben – indem sie nur eine Seele angreifen und überwältigen. Oder ein paar Hundert, wenn wir vom Ministerrat der EU reden. Wenn also die Regierungen sich für Europa aussprechen, dann nur, weil sie Leibeigene Satans sind und nach seinem Willen handeln.«
    Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Was hat das mit den Aktienkursen zu tun?«
    »Das ist Satans Lohn dafür, dass sie seinen Befehlen gehorchen. Immer wenn sie die Verwirklichung des Plans vorantreiben, lässt er die Aktien steigen. Er schenkt ihnen das irdische Paradies, das er seinen Lakaien immer verheißen hat.«
    Er sah mich noch immer erwartungsvoll an und wartete auf eine Reaktion. »Ich weiß nicht, Nicky«, sagte ich behutsam. »Der FTSE – das ist doch eine Kennziffer, oder? Eine

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