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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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klangliche Äquivalent ihres Gesichts. »Wie jemand, der noch einmal die Vergangenheit durchlebt – und nicht viel davon hat.«
    Ich brachte ein Achselzucken zustande, dann hob ich den Sambuca zum Ehrensalut. »Sie sind gut«, gab ich zu und trank einen tiefen Schluck. Der Glasrand war noch heiß und brannte auf meiner Unterlippe. Gut. Das brachte mich immerhin wieder in Kontakt mit der Wirklichkeit.
    »Gut?«, wiederholte sie und dachte kurz darüber nach. »Nein, das bin ich nicht. Sie können das als Warnung betrachten.«
    Sie hatte ihr eigenes Getränk mitgebracht – etwas in einem hohen Glas und hellrot, vielleicht eine Bloody Mary oder reiner Tomatensaft. Sie stieß mit mir an und trank die Hälfte in einem Schluck.
    »Angesichts der Tatsache, wie kurz das Leben höchstwahrscheinlich ist«, sagte sie, stellte das Glas ab und belohnte mich mit einem weiteren hochprozentigen Blick, »und wie viel an Schmerz, Verlust und Ungewissheit es mit sich bringt, finde ich, dass ein Mann für den Augenblick leben sollte.«
    Wenn das eine Anmache sein sollte, dann war sie mir neu. Ich nahm eine weitere Nase von ihrem Duft: Mit einiger Überraschung stellte ich fest, dass ich eine Erektion hatte.
    Ich bemühte mich um einen lockeren Plauderton. »Nun, normalerweise tue ich das. Das meiste, was ich heute erlebt habe, war nicht so toll.«
    Sie lächelte. »Aber jetzt bin ich da.«
    Ihr Name war Juliet. Mehr wollte sie mir nicht mitteilen, außer dass sich herausstellte, dass sie nicht aus London kam. Das hätte ich auch an ihrem Akzent hören können, oder besser – wie bei Lukasz Damjohn – daran, dass sie keinen hatte. Sie drückte sich mit jener präzisen Klarheit aus, als setzte sie die Silben nacheinander in einem bestimmten Muster, das sie auswendig gelernt hatte. So klang sie wie eine Moderatorin beim Eurovision Song Contest, aber wann hat einem die Eurovision jemals einen Ständer beschert?
    Sie war auch nicht daran interessiert, mehr über mich zu erfahren, was super war. Je weniger ich in diesem Moment über meinen Beruf reden musste, desto besser. Ich weiß nicht mehr, worüber wir statt dessen sprachen. Woran ich mich jedoch erinnere, war die absolute Gewissheit, dass wir die Bar verlassen und irgendwohin gehen würden, wo wir rammeln konnten wie die Karnickel.
    Inzwischen kam ein weiteres Glas von dem schwarzen Fusel, dann das nächste, dann noch eins. Ich trank alles, ohne es richtig zu schmecken. Alles erschien dunkel, wenn man es genau betrachtete. Juliets Augen waren schwarze Kaleidoskope, die einem die Welt stahlen und sie dann zurückgaben, übersetzt in zarte Töne von Mitternacht.
    Wir wankten aus der Bar hinaus in die schwarze Nacht, die von einer hauchdünnen Mondsichel erhellt wurde, und dann in ein schwarzes Taxi, das losfuhr, ohne dass wir gesagt hatten, wohin wir wollten. Oder vielleicht erwähnte ich auch ein Ziel, und ein Teil meines Gehirns versuchte, die alltäglichen Realitäten zu bewältigen, während ich Juliets schattenhafte Kurven begrapschte und sie mich problemlos abwehrte.
    »Nicht hier, Geliebter«, wisperte sie. »Bring mich irgendwohin, wo mich niemand sehen kann!«
    Dann entfernte sich das Taxi, und wir standen auf dem Bürgersteig vor Pens Haus. Alle Fenster waren dunkel bis auf eins. Pen war im Keller, und ich dachte flüchtig daran, dass ich sie seit zwei Tagen nicht gesehen hatte. Es erschien in diesem Augenblick unwichtig. Nichts war wichtig, außer mit Juliet in mein Zimmer zu gelangen und die Tür abzuschließen. Dann konnte die ganze gottverdammte Welt untergehen, und es wäre mir egal gewesen.
    Ich bekam den Schlüssel nicht ins Schloss. Juliet sagte ein Wort, und die Tür sprang von allein auf. Was für ein nützlicher Trick! Sie nahm mich an der Hand und führte mich die Treppe hinauf, und um uns war eine Blase vollkommener Stille, sodass ich, als ich trunken ihren Namen lallte, meine eigene Stimme nicht hörte. Sie drehte sich zu mir um und lächelte, ein Lächeln voller nahezu unerträglicher Verheißung.
    Meine Tür öffnete sich fast genauso leicht wie die Haustür. Sie zog mich hinein und schloss sie hinter uns. »Gott, du …«, brabbelte ich, aber sie brachte mich mit einem Finger auf meinen Lippen zum Schweigen. Das war die Art von Situation, bei der man seiner Partnerin schmeicheln und sie mit zärtlichen Worten ködern musste, die nicht einmal passten. Ihre Bluse fiel zu Boden, ohne dass sie sie berührt hätte. Ihre Hose und ihre Schuhe auch. Ihr Fleisch war

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