Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
war, um mich davon abzuhalten, in der Dunkelheit diesen fatalen Fehltritt zu begehen.
Es gab einen guten Grund, weshalb ich nicht zu intensiv über das Leben nach dem Tod nachdachte, und der hatte nichts mit Zimperlichkeit zu tun. Zumindest nicht mit der Art von Zimperlichkeit, die einen davon ablenkt, über ein mögliches Bremsversagen nachzudenken, während man über eine enge Bergstraße fährt – einen zwingt, nicht an Haifische zu denken, wenn man vor Bondi Beach im Meer schwimmt.
Es war meine Aufgabe. Konnte ich es einfacher ausdrücken? Ich schickte Geister dahin, wo auch immer man als Nächstes geht. Was bedeutete, dass ich, wenn es zum Beispiel einen Himmel gab, ein gutes Werk tat, weil ich ihnen die Tür zum Empfang ihrer ewigen Belohnung öffnete. Andererseits, wenn es nach dieser Welt keine andere gäbe – überhaupt nichts außer dem Leben, das wir kennen –, dann löschte ich sie lediglich aus. Das war stets meine Art, mit dem Problem fertig zu werden, indem ich mich nämlich weigerte, die Geister selbst als menschlich zu betrachten. Wenn sie lediglich psychische Aufnahmen waren – die Überreste starker Gemütsbewegungen, die abrufbar an Orten erhalten geblieben waren, wo sie zuerst entstanden und empfunden worden waren – wo war dann der Schaden?
Ich spürte, wie speziell diese Verteidigungslinie zu bröckeln begann und Wasser durch mehr Löcher hereinsickerte, als ich Finger besaß, um sie zu verschließen.
Ich saß eine halbe Stunde lang vor meinem Whisky, dann bestellte ich einen zweiten und brütete weiter. Ich dachte gerade über einen dritten nach, als vor mir ein Glas auftauchte. Darin war schwarzer Sambuca, und er war auf jene spektakuläre Weise serviert worden, die mich normalerweise entsetzlich nervte – angezündet, mit einer Kaffeebohne, die obendrauf schwamm –, aber als die Frau sich auf den Hocker neben mir schob und sich vorbeugte, um die Flamme auszublasen, vergaß ich all das.
Der Ausdruck »atemberaubend« fand meiner Meinung nach viel zu inflationär Anwendung. Haben Sie je eine Frau gesehen und gedacht, Ihnen bleibt die Luft weg? Der Eindruck geballter Schönheit wird Ihnen ein Loch in den Schädel brennen, sodass das Gehirn herausrinnt?
Jetzt sah ich sie vor mir.
Sie war groß und feminin, während ich normalerweise auf zierlich und süß stand, aber man konnte schon auf den ersten Blick erkennen, dass sie zu der Art Frau gehörte, die jeder Kategorisierung spottet. Ihr Haar war eine kohlschwarze Kaskade, und ihre Augen hatten die gleiche Farbe, so dunkel und groß, dass sie nur aus der Pupille zu bestehen schienen. Wenn die Augen die Fenster der Seele sind, dann hatte ihre Seele einen Horizont jenseits der Wahrnehmungskraft. Die schneeweiße Lady-d’Arbanville-Blässe stand ihr gut – gut, aber Goth. Ihre Haut war hellstes Elfenbein, die Lippen von einer dunkleren und satteren Farbe, wie Buttercreme. Die dunkle Bluse, die sie trug, bestand anscheinend aus mehreren Lagen eines nahezu durchsichtigen Stoffs, sodass er, wenn sie sich bewegte, mikrosekundenlange Ausblicke auf die Haut darunter erlaubte. Im Gegensatz dazu zeigte die schwarze Lederhose nur Konturen, die mir beredte Signale lieferten. Eine silberne Kette, ganz ohne Anhänger, zierte ihr linkes Fußgelenk, das sich mit dem rechten kreuzte. An dem Füßen trug sie schwarze High Heels.
Aber es war ihr Duft, der die stärkste Wirkung auf mich ausübte. Als sie sich setzte, hatte er mich für einen Moment wie eine heiße Woge fauliger Opulenz getroffen, wie der Gestank in einem Hühnerstall, nachdem ein Fuchs dort gewütet hat. Dann, eine Sekunde später, erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte, denn der Geruch hatte sich zu einer tausendfachen Vielfalt von Nuancen aufgefächert: edle Harmonien von Moschus, Zimt und taufeuchtem Sommermorgen über süßer Rose, schwerer, üppiger Lilie und unverhülltem menschlichem Schweiß. Selbst ein Hauch von Schokolade und von jenen scharfen, klebrigen Anisbonbons lag darin. Der Gesamteffekt war unbeschreiblich: der Duft einer Frau in Hitze, die in einem Lustgarten lag, wie man ihn als Kind besucht hat.
Dann blinzelten diese merkwürdigen Augen, langsam und träge, und ich begriff, dass meine Betrachtung mehrere Sekunden gedauert hatte, in denen ich sie mit geöffnetem Mund angestarrt hatte.
»Sie machten so einen speziellen Eindruck«, sagte sie, als wollte sie den Gratisdrink und ihre Anwesenheit erklären. Ihre Stimme war ein tiefer, rauchiger Kontraalt, das
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