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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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unerträglich, aber ich tat mein Bestes, um beides zu ignorieren. Ich begann einen Rhythmus zu klopfen.
    Es war kein vollständiger Zauber, aber es war ein Anfang. Wenn ich Flöte spielte, setzte ich Lautstärke, Geschwindigkeit, Bindebögen und jedes andere verdammte Element ein, um die endlosen Verschlingungen dessen, was ich in meinem Geist sah, in etwas zu verwandeln, das vor mir in der Luft schwebte. Verglichen damit war das, was ich tat, in etwa das Gleiche, als versuchte ich, aus vorgekautem Holzbrei eine Pistole zu formen und dann mit ihr zu zielen und zu schießen. Alles, was ich zur Verfügung hatte, war eine einzige Zutat, eine Dimension, mit der ich arbeiten konnte.
    Es würde den Sukkubus niemals vertreiben, aber ich hoffte, es würde ihn wenigstens streifen, und das tat es. Ein Beben durchlief ihn, als der Rhythmus sich entwickelte und traf, und dann erstarrte er für einen kurzen Moment, und etwas von seiner entsetzlichen Kraft sickerte aus seinen geschmeidigen Gliedmaßen. Diesen Augenblick nutzte ich, um den Kopf nach hinten zu legen, gegen den Druck seiner gewölbten Hand und meinen Mund von seinem zu lösen
    Ich holte tief Luft. Angesichts der Hitze, die in mir tobte, fühlte es sich an, als verschluckte ich einen Eimer voll Eissplitter. Keine Zeit, sich der Qual hinzugeben, keine Zeit für einen zweiten, tieferen Atemzug. Stattdessen begann ich, in einem verhaltenen Kontrapunkt zu dem Rhythmus zu pfeifen, den ich noch immer mit den Fingern trommelte.
    Die Wirkung auf Juliet war eindrucksvoll. Ihr unglaublich perfektes Gesicht verzerrte sich, ihre Züge schienen für einen kurzen Moment zu zerfließen und sich neu zu formen. Sie stieß einen Wutschrei aus, und es war ein so grässlicher Laut, dass ich beinahe die Melodie vergessen hätte. Sie packte mich fester, drohte mir die Brust zu zerdrücken, aber nur kurz. Das harte Stakkato des Zauber fraß sich in sie hinein, sie ließ mich los und taumelte rückwärts gegen die Wand.
    Während Juliet sich in Fötushaltung zusammenrollte, knallte ich mit den Knien auf den Fußboden. Der Aufprall traf mich so heftig, dass der Atem aus mir herausschoss wie bei einem Schluckauf, und obgleich es nur für einen Moment geschah, zog der Sukkubus genügend Kraft aus dem kurzen Verstummen, um sich zu erheben und wieder eine aufrechte Haltung anzunehmen. Ich nahm die Melodie beim nächsten Takt wieder auf und steigerte den Rhythmus. Der Sukkubus erstarrte wieder, wo er stand, und blickte wütend auf mich herab.
    Während dieser kurzen Zäsur fiel mir ein metallisches Blinken unterm Bett ins Auge. Ich kroch auf allen vieren darauf zu und kam mit der Tin Whistle in der Hand hoch. Juliets Augen weiteten sich. Immer noch pfeifend setzte ich das Mundstück der Flöte an die Lippen und richtete mich in einer Jon-Anderson-Kampfhaltung auf einem Bein auf.
    Wir balancierten auf dem Zenit einer Katastrophenkurve. Befreit von der erstickenden Umarmung konnte ich Tonumfang und Lautstärke steigern. Aber ich wagte nicht, für ein kurzes Einatmen innezuhalten, und trotz der Ketten des Exorzismus, die sich immer enger um sie legten, konnte Juliet sich auf den Füßen und auf der Ebene der Sterblichkeit halten. Sie war ein Dämon, kein Geist, und wie ich zu meinem Leidwesen bei Rafi hatte lernen müssen, war weit mehr als »Sing Something Simple« nötig, um einen dieser Scheißtypen auszuschalten.
    Juliet kam einen Schritt auf mich zu. Einen Schritt, dann noch einen. Ihre Arme streckten sich nach mir aus, und Finsternis erblühte hinter meinen Augen. Mir wurde der Sauerstoff knapp, die Musik würde verstummen, und das wäre das Ende.
    Dann flog wie in einer Slapstick-Komödie die Tür auf, und Pen stürmte herein. In Händen hielt sie ein Gewehr mit einem fünfzackigen Sheriffstern auf dem Kolben, was bei mir eine fatale Reaktion hervorrief und mich zum Lachen brachte. Ich verlor das bisschen Luft, das ich noch hatte, und die letzte gehauchte Note des Zaubertricks löste sich in einem schrillen dissonanten Ton auf, als Pen zielte und schoss.
    Sie war eine lausige Schützin. Die erste Kugel traf mich in die Schulter und brannte wie die Hölle. Die zweite Kugel ging völlig daneben und stanzte ein kleines, sauberes Loch in die untere linke Fensterscheibe. Die dritte, vierte und fünfte trafen den Sukkubus in Bauch, Brust und Stirn.
    Juliet heulte – es war ein lang gezogener Schrei der Qual und Wut. Dann setzte sie über meinen Kopf hinweg, und ich hörte, wie das Fenster zerbrach,

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