Felix, der Wirbelwind
Training. Die Apfelsaftschorle stand unberührt neben uns, und lustlos stocherten wir mit den Stöcken im Gras. Da richtete sich Markus plötzlich auf.
„Ich glaub, ich hab’s!", rief er. „Es ist nicht Rocce. Es ist sein Vater, der dahinter steckt."
„Nein. Das glaub ich nicht!" Ich schüttelte den Kopf. „Ein Vater tut sowas nicht."
„Ach ja?", konterte Markus. „Und was tut dann meiner? Ich sag euch, der lässt keine Gelegenheit aus, um mich am Fußballspielen zu hindern."„Ja, deiner vielleicht", sagte Leon, „aber Rocces Vater, der ist Ribaldo. Glaubst du wirklich, dass der Tennis spielt oder Golf?"
„Da hast du Recht", grummelte Markus. „Aber woran liegt’s dann? Verflixt und zugenäht! Gestern war Rocce doch noch total nett."
„Das stimmt!", sagte Willi ganz ernst, „Und deshalb liegt es vielleicht gar nicht an Rocce oder Ribaldo. Deshalb liegt es vielleicht nur an euch."
„Wie bitte? Was soll’n das heißen?", platzte es aus Leon wütend heraus. Wir starrten Willi an, als redete er wieder von den Indianern, von Luke Skywalker und davon, dass man die Bundesliga abgeschafft hat. Doch Willi blieb ernst, so ernst, wie wir ihn noch nie erlebt hatten.
„Das soll heißen, dass ihr endlich mal merkt, was mit euch hier passiert", sagte er. „Und falls ihr zu blöd dazu seid, dann geht auf der Stelle zu Rocce und Ribaldo nach Hause. Ich fress’ einen Besen, wenn die euch das nicht eiskalt und ganz ungeniert aufs Butterbrot schmier’n."
Wir schauten ihn fassungslos an.
„Zu ihm nach Hause?", fragte ich.
„Zu Giacomo Ribaldo nach Hause?", fragte Fabi. „Ist das dein Ernst?"
„Warum nicht?", lächelte Willi.
„Oh, mein Gott!", stöhnte Raban. „Das Haus wird bewacht. Da wuseln Bodyguards wie Ameisen rum!"
„Die haben alle Maschinengewehre!", fügte Joschka hinzu. Dann schoss er mit einer imaginären Waffe „Rattatattatam!" und fiel mit einem röchelnden „Urgh!" getroffen ins Gras.
„Verstehst du nicht, Willi?", erklärte ihm Marlon. „Giacomo Ribaldo ist ein richtiger Star."
„Ganz genau!", bestätigte Willi. „Er ist das, was ihr alle mal sein wollt. Hab ich nicht Recht? Also, wovor habt ihr Angst?"
Zögernd standen wir auf. Eine Gewitterwolke verdunkelte die Sonne, und ich schaute auf Joschka hinab. Der lag immer noch leblos im Gras und spielte, er wäre tot. Verflixt, er spielte das nur, aber irgendwie hatte ich eine Ahnung. Irgendwie wusste ich in diesem Moment, dass wir alle bald genauso daliegen würden. Mit einem Unterschied allerdings: Für uns war das dann nicht nur aus Spaß. Für uns war das ernst.
Das Tor zum Himmel
Die Straße, in der Giacomo Ribaldo wohnte, hieß Himmelstor. Wir waren noch nie in ihrer Nähe gewesen und als wir sie jetzt klammheimlich betraten, erwarteten wir nichts Geringeres als Festungen, die über uns auf Wolken schwebten. Doch es kam noch viel schlimmer. In dem Moment, in dem wir die Straße betraten, donnerten die Festungen auf die Erde hinab, auf jeden Fall glaubten wir das, und rammten ihre meterhohen Mauern direkt vor uns in den Boden. Häuser schien es hier gar nicht zu geben, nur riesige Tore, an denen kein Name stand und die uns ganz deutlich sagten:,Was macht ihr hier eigentlich? Hier habt ihr gar nichts verloren!’
Wenn ihr mich fragt, sagten die Tore die Wahrheit, doch leider war Willi anderer Meinung und leider wussten wir die Nummer des Hauses, in der Rocce wohnt. Sie stand auf einem dunklen, schmiedeeisernen Tor.
„13" stand da, wie die Rückennummer, die Giacomo Ribaldo schon seit acht Jahren trug, wie die Rückennummer von Gerd Müller, dem Bomber der Nation, der sein und Leons Vorbild war. Doch das war auch alles, was uns mit diesem Ort hier verband.
Ratlos standen wir vor dem Tor, und die Gewitterwolken türmten sich über uns auf. Da begann Fabi zu pfeifen. „Knocking on Heaven’s Door" hieß das Lied, meinte er. Auf jeden Fall hörte oder pfiff das immer sein Vater, wenn er was tun musste, vor dem er die Hosen voll hatte. Und „Knocking on Heaven’s Door" pfiff jetzt auch Fabi, als er zur Klingel ging und sie drückte.
Eine Ewigkeit passierte gar nichts. Dann meldete sich eine Stimme. Sie sprach portugiesisch. Das, das wussten wir, war die Sprache, die man in Brasilien spricht. Doch wir verstanden kein Wort.
„Ähm, Entschuldigung", stammelte Fabi und kratzte sich ratlos am Kopf. „Wir wollen zu Rocce."
Der Lautsprecher krächzte erschrocken, als hätte Fabi gefragt, ob er Rocce heiraten könne.
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