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Felix, der Wirbelwind

Felix, der Wirbelwind

Titel: Felix, der Wirbelwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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ich in der Küche der Karl-ValentinStraße Nr. 11 und sagte kein Wort. Ich konnte nichts sagen. Ich wartete nur auf die Standpauke, die jetzt gleich auf mich einschlagen würde:,Oh, mein Gott, Felix, bist du von allen guten Geistern verlassen? Willst du dir den Tod holen? Ich dachte, du bist ein vernünftiger Junge. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt! Ab jetzt ist das Training für dich gestrichen! Ist das klar? Sind wir uns einig?’
    Ja, darauf wartete ich. Ich sehnte mich sogar danach. Mein Körper war taub, und mein Kopf war wie in Watte verpackt. Ich fühlte mich wie in einem Alptraum, aus dem ich nicht aufwachen konnte, und eine Standpauke ist das beste Mittel dagegen. Eine Standpauke rüttelt wach.
    Doch meine Mutter sagte kein Wort. Sie sah mich nur an. Sie sah mich an, als hätte man mich skalpiert, gevierteilt und als steckten mindestens sieben heimtückische Pfeile in meinem Rücken. Dann nahm sie mich in den Arm und steckte mich in die Badewanne. Sie kochte mir Tee und war wie ein Engel zu mir. Sie pflegte mich wie einen Ritter, der tödlich verwundet das Turnier in letzter Sekunde doch noch gewonnen hatte, wieder gesund. Doch ich war nicht verwundet. Ich war auch kein Ritter, und ich hatte erst recht bei keinem Turnier mitgemacht. Ich war ein Verlierer, ein Loser, und man hatte mich kampflos besiegt und mir ohne Gegenwehr alles genommen, was mir wichtig war: Willi, unseren Trainer, den Bolzplatz, das Zentrum unserer Welt, meine Freunde, die Wilden Kerle, und natürlich den Fußball, der alles für mich war und noch mehr.
    Deshalb konnte mir die Fürsorge meiner Mutter auch kein bisschen helfen. Okay, sie bewahrte mich vor einer Lungenentzündung oder einer Erkältung, aber in Wirklichkeit konnte ich sie nur als Mitleid verstehen. Oh mein Gott, Mitleid, was war das für eine Demütigung. Könnt ihr das nicht verstehen?
    In so einem wichtigen Moment meines Lebens war Mitleid das Schlimmste, was man mir antun konnte. In so einem Moment brauchte ich etwas ganz anderes. Ich brauchte jemanden, der mir in den Hintern trat, der mir sagte, dass ich den Kopf aus dem Sand ziehen sollte, der mir meine Angst nahm und mir meinen Mut zurückgab, indem er mir sagte, was ich tun müsste, um meinen Stolz und meine Träume zurückzubekommen. In diesem Moment meines Lebens brauchte ich einen Vater, doch der war schon lang nicht mehr da. Ich hatte nur meine Mutter und die hatte Mitleid mit mir. Verflixt! Und genau deshalb redete ich mit ihr an diesem Abend und auch an den nächsten Tagen kein Wort.
    Den anderen Wilden Kerlen ging es nicht besser. Von einem Tag zum anderen hatte sich unsere Welt total verändert, so als wäre ein Meteorit auf sie draufgeknallt. Selbst die Klimazonen hatten sich gegeneinander verschoben. Auf jeden Fall erschien uns das so. Statt Sommer wurde es Herbst. Der Regen fiel endlos aus dunklen Wolken, die wie schwarzer Schwefel über den Baumwipfeln klebten, und diese Wolken waren so drückend und schwer, dass jeder von uns nur noch auf seine Fußspitzen starrte, und niemand von uns sah den anderen an.
    Selbst in der Schule liefen wir wortlos aneinander vorbei. Schweigend saß ich zwischen Fabi und Leon und schweigend saßen Juli und Raban schräg hinter uns. Wir waren so still, dass selbst unser Lehrer aufmerksam wurde und auch Rocce sah besorgt zu uns her. Doch unserem Lehrer sagten wir nichts, und Rocce nahmen wir gar nicht mehr wahr. Er interessierte uns nicht, und nach Schulschluss gingen wir brav und grußlos nach Hause. Keiner wollte den anderen sehen. Selbst Leon wollte Marlon nicht sehen und Juli nicht Joschka.
    Im Fasanengarten Nr. 4 warf Fabi am dritten Tag unseres Schweigens seinen Legotechnik-Bausatz gegen die Wand und half seiner Mutter beim Bügeln. Wortlos packte er die zusammengelegte Wäsche in einen Korb und räumte sie in die Schränke. Das hatte er noch niemals getan, und dementsprechend verdattert war seine Mutter. Verdattert stand sie da, beobachtete ihren Sohn und reagierte selbst dann nicht, als das Sommerkleid auf dem Bügelbrett vor ihr zu brennen anfing.
    „Mensch, Mama!", schrie Fabi, riss das Bügeleisen vom Kleid und schüttete ein Glas Wasser über die Flammen. „Verflixt! Was ist los mit dir!"
    „Was ist los mit dir?", fragte seine Mutter zurück, und sie klang richtig besorgt. „Warum bist du nicht auf dem Bolzplatz?"
    Fabi hüpfte von einem Bein auf das andere, versuchte sein unwiderstehliches Grinsen, was ihm aber zum zweiten Mal in seinem Leben richtig

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