Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
der Herr Prallinger selbst würde Auskünfte über einen FAVOR-CONTRACTUS -Fall geben. Wieder eigenartig, denn ich habe diesen lateinischen Ausdruck gar nicht erwähnt. Die hat also ganz genau gewusst, was ich meine. Sehr komisch.«
»Und jetzt ist er tot, der Prallinger. Auch komisch.«
Ja, sehr komisch, dachte Ursel. Gut, dass sie einen falschen Namen genannt hatte. Alte Angewohnheiten sind oft nützlich.
59
Ein paar Krankenzimmer neben den Geiseln lag der Kindergärtnermasseur mit der Kennnummer F- 15 . Ein Mückenstich also. Ein Mückenstich hatte ihn vom geachteten Mitglied des Spezialeinsatzkommandos zu einer mickrigen Gestalt im weißen Nachthemdchen gemacht.
Er war vom Gipfel nicht mehr allzu weit entfernt gewesen. Er hatte Schritt vor Schritt gesetzt, dann war er immer müder geworden, er hatte sich immer schwächer gefühlt, er hatte das aber nicht mit dem kleinen Piekser im Nacken in Zusammenhang gebracht. Er versuchte, gegen die plötzliche Mattigkeit anzukämpfen, es gelang ihm nicht. Er ging in die Knie, suchte Deckung. Seine Augenlider schwollen an, und durch die Nase konnte er schon nicht mehr atmen. Bevor er vollständig in die dichten, schattigen Latschenhaufen kroch, hörte er in einiger Entfernung einen Mann mit sonorer Stimme rufen:
»Gehen Sie schon mal vor. Ich komme hier allein zurecht.«
»Aber Herr Doktor, das ist zu gefährlich!«, erwiderte einer der Bergwachtler.
»Ich weiß, was ich tue!«
Er konnte sich nicht mehr ganz genau an die Worte erinnern, aber hatte er nicht den Namen
Rosenberger
gehört? Das war letztendlich auch schon egal, er war dienstunfähig, wahrscheinlich für immer. Er würde Frührentner werden. Mit neunundzwanzig hatte er ein riesenlanges, zwar gutbezahltes, aber sinnloses Leben vor sich. Keine Einsätze mehr, die harte Ausbildung umsonst, kein Kontakt mehr zu seinen alten Kumpels. Anaphylaktische Reaktion. Auf eine Mücke! Das konnte jederzeit wieder passieren, das machte ihn dienstuntauglich, er würde nicht einmal mehr als Pförtner eingesetzt werden. Frühpensionär mit neunundzwanzig. Ein Neubeginn? Er hatte sonst nichts gelernt. Und er wollte sonst auch nichts anderes machen.
F- 15 wusste genau, wo das hinführte. Vielleicht würden sie ihn schon bald hier in diesem Krankenhaus besuchen, vielleicht heute noch. Die russische oder rumänische Mafia erfuhr so einen Ausfall oft als Erste. Anwerber der chinesischen Triaden waren ebenfalls hinter ehemaligen Elitepolizisten her. Eine Ablehnung kam hier einem Todesurteil gleich. Besonders unerbittlich bei ihren Rekommandierungsmethoden aber war die Personalabteilung der mexikanischen organisierten Kriminalität, die seit neuestem im süddeutschen Raum Fuß fasste. Ihre Agentinnen tarnten sich als Krankenschwestern, und sie nahmen in den Kliniken und Rehas Kontakt zu den Ausgemusterten auf. Auch bei den Mexikanern war es nicht ratsam, abzulehnen.
Langsam bewegte sich die Klinke der Krankenzimmertür nach unten.
60
Der große Anpfiff fand in der kleinen Turnhalle neben dem Polizeirevier statt. Motte, Tom, Uta, Mona, Joey und alle anderen schlichen wie die begossenen Pudel herein, sie wussten, dass sie sich auf einiges gefasst machen mussten.
»Wieso eigentlich wir?«, maulte Murat.
»Ja, wieso eigentlich wir?«, stimmte Motte mit ein. »Wir haben doch gar nichts gemacht.«
Jennerwein stellte sich wütend vor ihnen auf.
»Um es kurz zu machen: Ich bin stinksauer auf euch. Ich habe eigentlich etwas anderes zu tun, als hier Gardinenpredigten zu halten. Ihr habt Scheiß gebaut. Ihr könnt von Glück sagen, dass es nicht Anzeigen hagelt wegen eines halben Dutzends von Delikten.«
Einige wollten etwas sagen, Jennerwein unterbrach sie.
»Ich weiß nicht, ob das alle begriffen haben: Eure Eltern sind in Gefahr. Und ihr seid in Gefahr. Der Geiselgangster ist noch auf freiem Fuß. – Und lasst euch ja nicht einfallen, diese Nachricht durch die Gegend zu twittern! Das ist Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit. Ihr könnt von Glück sagen, dass ich euch nicht einsperren lasse.«
Tom Fichtl hob den Kopf. Fast wäre ihm die Witzfrage herausgerutscht, ob es im Knast denn auch einen Volleyballcourt gäbe. Er ließ die Bemerkung aber dann doch. Er hatte den unauffälligen Polizisten unterschätzt. Jennerwein hatte jetzt eine gute Portion Schärfe in der Stimme. Mit dem sollte man sich lieber nicht anlegen. Das war ein ganz anderer Typ als der, von dem ihm sein Vater erzählt hatte. Der hatte
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