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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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worden, und ein Mann im Bademantel war langsam auf die Balkonbrüstung gestiegen. Die Absicht war eindeutig nicht frischluftschnappend, sondern suizidal. Unten erwartete ihn der unersättliche Asphalt des Parkplatzes. Der SEK ler erhob sich von seinem Lager und schlich lautlos zum Fenster. In der Glasscheibe überraschte ihn sein eigenes Spiegelbild: Die Lippen waren nach wie vor geschwollen, die Augenlider glänzten blau schimmernd. Er war jetzt ein anaphylaktischer SEK -Veteran, doch er gehörte noch nicht zum alten Eisen. Vor dem Fenster ging er in die Knie, um von dem zögernden Lebensmüden nicht gesehen zu werden. Langsam öffnete er die Balkontür, schlich in der Hocke hinaus und stieg ebenfalls auf die Brüstung. Er machte dabei nicht mehr Geräusche, als wenn er ein Marmeladebrötchen geschmiert hätte.
     
    Schorsch Meyer III kniff die Augen zusammen und machte Anstalten, sich fallen zu lassen. Der SEK -Mann hechtete schräg in dessen Richtung, flog eine ewige halbe Sekunde lang in der Luft und konnte den Oberstudienrat gerade noch am Arm fassen. Er umklammerte Schorsch Meyer und riss ihn mit voller Wucht auf den Balkon zurück. Keuchend lagen sie am Boden.
    »Was sind
Sie
denn für ein Vollidiot?«, schrie der Kindergärtnermasseur. Das Fach Psychologie hatte nicht zu seiner Ausbildung gehört.
    »Und was sind
Sie
für einer?«, schrie Schorsch Meyer wütend zurück. »Warum haben Sie mich nicht springen lassen?«
    »Spezialausbildung. Ich muss so etwas verhindern. Ich kann nicht anders.«
    Schorsch Meyer war völlig durcheinander. Er richtete sich auf, und sein Blick fiel auf den Abschiedsbrief, der immer noch in seinem Zimmer auf dem Tisch lag. Jetzt würden irgendwelche Psychoheinis ihn lesen und falsche Schlüsse daraus ziehen. F- 15 nahm SM   III , wie Meyer oft genannt wurde, am Arm und zog ihn vom Balkon weg ins Zimmer. Er musterte Meyer. Ohne Wärmebildkamera kamen ihm Menschen oft unwirklich und verschwommen vor.
    »Sie sind doch eines von den Geiselopfern«, stellte er fest. »Da riskieren wir unser Leben, um Sie zu retten, und dann haben Sie nichts Besseres zu tun –«
    Plötzlich schoss ihm ein ganz anderer Gedanke ein. Ruckartig riss er dem verdutzten Meyer den Bademantel herunter, stieß ihn zu Boden und fixierte ihn dort mit einem Spezialgriff.
    »Sicherheitshalber«, sagte er später zu Jennerwein. »Auf einmal kam mir der Mann sehr verdächtig vor.«
     
    Der Abschiedsbrief in Meyers Zimmer gab Rätsel auf:
Da siehst du, wohin das führt. Adieu, Dein armer Schnurrliwurli
. Adressiert war er an eine gewisse Jeanette.
    »Sie hat mit mir Schluss gemacht«, sagte er, als ihn Jennerwein befragte.
    »Hast du etwas mit der Geiselnahme zu tun, Schorsch?«
    Schweigen.
    »Ob du etwas mit dem Verbrechen dort oben zu tun hast!?«
    Wieder Schweigen.
     
    Langsam, ganz langsam, im Tempo eines versinkenden Körpers im Moor, war die Klinke vorhin nach unten gedrückt worden. Leise schob sich die Tür auf, und eine Krankenschwester mit unverkennbar mexikanischen Wurzeln betrat den Raum auf leisen Sohlen. Ihr erster Blick fiel auf das leere Bett von F- 15 , ihr zweiter auf das geöffnete Fenster.
    »Flinkes Kerlchen«, sagte sie. »So einen wie den können wir brauchen.«



62

    Der improvisierte Vernehmungsraum im Krankenhaus glich einem Klassenzimmer. Außer Gustl Halfinger, die auf der Intensivstation lag und sich weiterhin in einem kritischen Zustand befand, und Schorsch Meyer saßen alle überlebenden Teilnehmer der Kramerwanderung im Halbkreis auf den Stühlen. Alte Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an vergessene Erdkunde-Hausaufgaben, verschlampte Schulbücher und nichtgelernte Vokabeln. Der ranzige Geruch des Schulhauses mischte sich mit dem sterilen Seifenmief der Klinik. Jennerweins Auftritt war verhalten. Er kam langsam und zögerlich herein, sein Blick war unsicher, seine Stimme leise.
    »Ich glaube, ich muss mich bei euch allen entschuldigen«, sagte er, als er vor den Halbkreis der lädierten Opfer trat. Einige trugen ihre Ablehnung offen zur Schau. Man sah es ihnen an: Sie wollten nach Hause.
    »Meine Kollegin, Frau Dr. Schmalfuß, kennt ihr ja.«
    »Auch ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte die Psychologin. Sie setzte sich. Jennerwein blieb stehen.
     
    Die meisten Kameraden betrachteten Jennerwein mit unverhohlener Skepsis. Der war doch vor zig Jahren genauso vor der Klasse gestanden! Ein Referat in Musik, über den Tristanakkord, bei Musiklehrer Lorenzer.
    »Aber ihr

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