Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
gemeint, dass Jennerwein die allerletzte Flasche wäre und zu nichts taugte als eben zum Polizeidienst. Tom hörte sich den Anpfiff lieber zu Ende an. Die Lust zum Scherzen war ihm seit dem Sprung in einen menschlichen Thorax ohnehin vergangen.
»Ich will, dass ihr mir versprecht, nichts mehr auf eigene Faust zu unternehmen. Wir haben es mit einem Verbrecher zu tun, der zwei eurer Eltern auf gemeinste Weise getötet hat. Ihr habt euch mit eurem eigensinnigen Ausflug in das Level vier der Todeszone begeben. Und was dabei rauskommt, das könnt ihr an Tom sehen.«
Tom stand ziemlich kleinlaut da und blickte auf seine Schuhe.
»Warum ist niemand auf die Idee gekommen, mich anzurufen? Mona! Ich habe dir doch meine Nummer gegeben.«
»Nun ja«, sagte Mona kleinlaut. »Wir dachten zuerst, dass es ein Scherz ist, eine Schnitzeljagd oder so was. Bis wir dann von Ihnen erfahren haben, dass –«
»Seid froh, dass die Tochter von Prallinger dieses Jahr nicht dabei war. Wie hättest du ihr das erklärt, Tom?«
»Er war ja schon tot«, sagte Tom leise.
»Ach ja? Und woher weißt du das so genau?«
Eine lähmende Stille trat ein. Jennerwein blickte jedem einzelnen in die Augen.
»Das wäre es vorerst. Wenn jemandem etwas einfällt, was zu den Ermittlungen beitragen könnte, dann ruft er uns an. Ich gebe jedem von euch ein Kärtchen.«
»Es war ein Unfall«, sagte Tom trotzig. »Ich kann nichts dafür.«
»Ich will keine Diskussionen mehr. Ich habe anderes zu tun.«
Die Gruppe begann, sich aufzulösen.
»Halt! Motte und Mona. Euch brauche ich noch. Motte, dich will ich zuerst sprechen.«
Jetzt ist es so weit, dachte Motte, jetzt hat er mich am Wickel. Der ist gar nicht so blöd, wie er aussieht. Der hat was spitzgekriegt. Sie gingen langsam hinüber zum Revier. Motte brauchte einen Plan.
»Warum bist du weggelaufen?«, fragte Jennerwein, als sie allein waren.
»Ich habe damit nichts zu tun«, sagte Motte.
»Was meinst du, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe«, entgegnete Jennerwein ärgerlich. »Aber mit was hast du nichts zu tun?«
»Es ist eine saugeile Idee, das muss ich zugeben. Ihr erster Coup war der, ein deutsches Schaf in einer Hundebox nach Australien zu schmuggeln. Umgehung der strengen Quarantänevorschriften. Aber der Bock war fleißig.«
»Von wem redest du?«
»Na, von Christine Schattenhalb, Ihrer ehemaligen Klassenkameradin. Sie hat Bio studiert, über Schafe geforscht. Und dann hatte sie was entdeckt, das gut was abwirft. Schafe sind Wiederkäuer. Unverdauliche Pflanzen werden zwischen den verschiedenen Mägen immer wieder hin- und hergewälzt, so dass sich unter günstigen Umständen harte Bezoarsteine bilden. Wie das genau funktioniert, das müssen Sie im Netz nachschauen. Jedenfalls kann man in die Steine Rauschgift einlagern – für die Tiere absolut ungefährlich und schmerzfrei, für den Rauschgifthandel absolut brauchbar. Ein Spürhund hat überhaupt keine Chance, da was zu erschnüffeln. Ein einziges Türkisches Fettschwanzschaf ist mehrere zehntausend Dollar wert. Und eines kann ich Ihnen sagen: Christine Schattenhalb und ihr Mann sind gut im Geschäft. Kann ich jetzt gehen?«
Jennerwein war verwirrt. Es tauchten immer mehr Faktoren auf, die mit dem Fall gar nichts zu tun hatten! Musste Christine Schattenhalb in die Überlegungen miteinbezogen werden? Aber er hatte doch mit ihr telefoniert! Auf der anderen Seite der Erde zu sein ist ein relativ gutes Alibi. Jennerwein hatte das Gefühl, als tastete er sich schon wieder durch Schimowitz’schen Nebel. Und die Zeit verging! Er wollte Motte gerade antworten, da stürzte Ostler herein.
»Kommen Sie schnell«, raunte er ihm leise ins Ohr. »Es ist etwas passiert. Schorsch Meyer hat sich aus dem Fenster gestürzt!«
Jennerwein und Ostler stürmten aus der Tür und fuhren auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus.
»Und damit nicht genug!«, sagte Ostler im Auto atemlos. »Er hat einen anderen mit hinuntergerissen.«
61
Der Kindergärtnermasseur hatte gar nicht bemerkt, dass die Türklinke langsam heruntergedrückt wurde, denn er hatte in die andere Richtung geblickt. Ihm, der Kampfmaschine mit dem geschulten Auge für alle unnatürlichen Bewegungen und Vorgänge, war draußen vor dem Fenster etwas aufgefallen. Die Außenmauer des Krankenhaustrakts beschrieb eine leichte Rundung nach innen, durch diese konkave Bauweise hatte er einen guten Blick auf den benachbarten Balkon des vierten Stocks. Die Tür war geöffnet
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