Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Ursel.
»Ich schätze die Chancen, ehrlich gesagt, gering ein.«
»Gerade letztens hat einer zu uns gesagt, wir und die Simpsons wären noch die einzigen intakten Familien weit und breit. Da muss doch was gehen.«
Nettelbeck schüttelte den Kopf.
»Haben Sie sich schon mit Ihren Parteifreunden darüber beraten?«
»Wir haben keine Parteifreunde. Wir sind in keiner Partei. Eine Partei hätte auch nicht viel Freude mit uns. Wir lassen uns einfach als Bürgermeisterehepaar aufstellen.«
Nettelbeck schüttelte den Kopf.
»Ja, warum denn nicht!«, sagte Ignaz. »Hausmeisterehepaare gibt es doch auch. Solche Stellen werden sogar öffentlich ausgeschrieben. Warum soll es dann keine Bürgermeisterehepaare geben?«
Die Graseggers aßen langsam und genüsslich, Nettelbeck blätterte in einem juristischen Kompendium.
»Sie könnten natürlich eines machen«, sagte er. »Sie könnten nach ähnlichen Fällen suchen. Ich gebe Ihnen die Adresse vom Bundesamt für Gemeindewesen. Die helfen Ihnen in der Sache weiter. Wenn wir genügend gleichgelagerte Vorgänge hätten, wäre es theoretisch möglich, ein Bürgerbegehren einzuleiten. Über diesen Umweg könnte es gelingen.«
»Wollen Sie nicht auch einmal von der Weißwurst probieren, Herr Doktor?«, fragte Ignaz. »Sie wird sonst kalt.«
»Suchen Sie ruhig auch nach älteren Fällen einer Doppelanstellung«, sagte Nettelbeck.
»Wie alt?«
»Blättern Sie in Kirchenbüchern, studieren Sie Gemeindearchive, historische Festschriften, so etwas in der Art. Bayrische Richter stehen darauf, wenn man ihnen mit Traditionen und vergilbten Handschriften kommt.«
»Das mache ich gern«, sagte Ursel. »Endlich kann ich meiner Liebe zur bayrischen Geschichte nachgehen.«
Ursel untertrieb hier. Sie war viel mehr als eine Liebhaberin. Sie war eine ausgezeichnete Kennerin der bayrischen Geschichte, von den Agilolfingern bis zum ›Kini‹ Ludwig II .
»Die Würste sind sicher vom Kallinger«, sagte Ignaz. »Sie sind eine Idee zu stark gewürzt. Nur eine Idee, aber man schmeckts raus.«
»Die besten Weißwürste«, warf Ursel ein, »hat immer noch der alte Hölleisen in seinem Kessel schwimmen gehabt!«
»Da hast du recht. Aber sein Filius wollte ja unbedingt zur Polizei – da wars aus mit der Metzgerei Hölleisen.«
Nettelbeck probierte ein zweites Scheibchen Weißwurst.
»Es ist ja sehr ehrenvoll, dass Sie mich konsultiert haben«, sagte er. »Aber haben Sie denn in Italien keinen Rechtsanwalt bekommen? Einen italienischen Dottore. Also, Sie wissen schon –«
Nettelbeck kam ins Stottern.
»Sie meinen einen Mafiaanwalt? Das wollten Sie doch sagen, oder?«
»Nein, so weit wäre ich nie gegangen. Das waren Ihre Worte.«
»Was sollen wir mit einem sizilianischen Winkeladvokaten anfangen, wenn wir uns zu einem oberbayrischen Bürgermeisterehepaar aufstellen lassen wollen?«
»Nun ja –«
»Außerdem, Herr Nettelbeck: Wir sind längst seriös und bürgerlich geworden. Gut, wir haben eine Vergangenheit gehabt. Eine gewisse Vergangenheit. Die wollen wir hinter uns lassen. Man wird nicht jünger. Deswegen haben wir Sie konsultiert.«
Der Chef vom
Bergpanorama
scharwenzelte um den Tisch herum.
»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
»In die Weißwürste hätte weniger Salz, aber vielleicht ein bisschen mehr Muskat hineingehört. Und der Senf ist nicht süß genug. Wenn Sie schon fragen.«
»Ich werde es dem Küchenchef weitergeben.«
»Ja freilich, machen Sie das«, sagte Ignaz. »Es kann alles nur besser werden.«
Nettelbeck nannte den Graseggers ein paar Telefonnummern in Ämtern, bei denen man bezüglich des außergewöhnlichen Projekts nachfragen konnte. Dann wurde eine große Pfanne Kaiserschmarrn serviert, der von den Graseggers heftig zerpflückt und kritisch genossen wurde. Zu wenig Eier, zu viel Zucker. Sie waren so aufs Essen konzentriert, dass sie den Fotografen der örtlichen Zeitung nicht bemerkten, der sich auf der anderen Seite der Terrasse positioniert hatte und geräuschlos und diskret ein Bild nach dem anderen schoss.
DIE NEUEN BÜRGERMEISTER ?
Das sollte am nächsten Morgen in der
Loisachtaler Allgemeinen
unter dem Bild stehen. Das Foto zeigte Ursel und Ignaz mit umgebundenen Servietten und mit vollem Mund. In dem dazugehörigen Artikel wimmelte es von Fragen:
Sollen rechtskräftig verurteilte Straftäter die Geschicke unseres Ortes lenken? Können die Kontakte der Familie Grasegger zur italienischen Mafia den wirtschaftlichen Glanz
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