Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
heute das Klassentreffen statt. Und um ein Haar hätten es die Scherzbolde auch geschafft, ihn an seinem freien Tag reinzulegen. Es wäre doch absurd, wenn er sein detektivisches Gespür für ein blödes Klassentreffen verschwendete.
Vor ein paar Wochen hatte er die offizielle Einladung bekommen. Wie immer kam sie von Harry Fichtl, dem rührigen Organisator dieser Zusammenkünfte. Soweit er sich erinnern konnte, hatte Fichtl Medizin studiert, war Allgemeinarzt geworden und hatte irgendwo im Norden Bayerns eine Praxis aufgemacht.
DR. MED. HARALD FICHTL
Allgemeinarzt
THE TIMES THEY ARE A- CHANGIN ’!
Kommt, versammelt euch, Leute, wo immer ihr euch rumtreibt
und gebt zu, dass das Wasser um euch gestiegen ist.
Akzeptiert, dass ihr bald bis auf die Knochen durchnässt seid.
Es wird jetzt langsam Zeit, dass ihr zu schwimmen anfangt,
oder ihr werdet sinken wie die Steine, denn eines ist klar:
THE TIMES THEY ARE A- CHANGIN ’!
Mit diesem schönen Bob-Dylan-Song möchte ich euch nochmals an das diesjährige Klassentreffen unseres legendären Abiturjahrgangs erinnern. Das wievielte es ist – in unserem Alter schweigen wir besser davon. Und auch dieses Jahr haben wir wieder ein volles Wochenend-Programm! Wir werden Volleyball spielen, sofern es die alten Knochen noch erlauben. Wir werden in unserer alten Schule ein paar Referate hören. Unsere Sprösslinge werden sich auch wieder treffen, und es gibt ja auch schon Sprösslingssprösslinge – zwei von uns sind Großeltern!
Der vorläufige Plan:
Mittwoch
18 . 00 Uhr
Treffen im Zirbelstüberl, mit Partnern
Donnerstag
10 . 00 Uhr
Frühstück in der Bäckerei Krusti
11 . 00 Uhr
Spaziergang zur Aule-Alm (Keine Angst, es sind nur 10 Minuten!)
14 . 00 Uhr
Treffen vor der Schule
16 . 00 Uhr
Volleyball in der Turnhalle – auf eigene Gefahr!
20 . 00 Uhr
Gemütlicher Abendausklang mit Musik
Freitag
7 . 30 Uhr
Treffen am Marktplatz, übliche Stelle. Überraschung!!! (Kleiner Tipp: Uta und das rote Eichhörnchen …) Festes Schuhwerk mitbringen! Fahrt ins Blaue! Ganzen Tag freihalten! Abends: »Felsenfest«. (Lechz!)
Meiner Bitte, für die Klassenzeitung ein paar Zeilen zu schreiben, sind viele von euch nachgekommen. Danke dafür. Ihr könnt nun nachlesen, wer was gemacht hat und wer von wem geschieden ist. (Kleiner Spaß.) Bei mir war nichts Besonderes los. Bin immer noch Arzt im Zonenrandgebiet. (Was das ist, verstehen unsere Kinder schon gar nicht mehr!) Ab und zu spiele ich Gitarre – und bereite die Klassentreffen vor. Dafür brauche ich das ganze Jahr.
Es grüßt euch mit diesem Gedichtl –
Euer Harry Fichtl
7
Der Mann mit der schussbereiten Bison PP - 19 schritt aufreizend langsam zwischen seinen zusammengesunkenen Opfern umher. Das Handy des Bärtigen hatte er wieder in die Tasche gesteckt. In unregelmäßigen Abständen drehte er sich blitzartig um und fasste die hinter ihm Kauernden scharf ins Auge. Er ging weiter und überprüfte alle Handfesseln sorgfältig auf Festigkeit. In einigen Fällen zog er die Zahnrasten schmerzhaft nach. Niemand wagte, laut aufzuschreien. Nur da und dort war ein leises, unterdrücktes Ächzen zu hören. Die scharfen Windböen hatten sich wieder beruhigt, übrig geblieben war nur das wispernde, blecherne Gesäusel kleiner, eiskalter Lüftchen, die um die Felsen strichen. Der Bärtige war immer noch starr vor Schmerz. Die Finger der verletzten Hand waren taub, seine Hand schwoll mehr und mehr an. Er kniff die Augen zusammen und blickte hinüber zum Wettersteinkamm. Über dem Blasskogelkopf bauten sich schon die ersten schwarzen Wolkentürme auf. Dort zog sich zu allem Überfluss auch noch ein Gewitter zusammen.
Die Masken, die Täter wie Opfer trugen, ergaben ein schauriges Bild. Es schien, als handelte es sich um einen alpinen Lady-Gaga-Imitations-Wettbewerb, bei dem man befürchten musste, dass die ersten Aspirantinnen gleich mit ♫
Pa-pa-pa-poker face, pa-pa-poker face …
losschmetterten. Doch niemand konnte die skurrile Parade komisch finden. Der Geiselnehmer setzte sich wieder auf seinen Stein. Das massive Gipfelkreuz, das sich zwischen ihm und dem Abgrund befand, warf einen schmalen Schatten auf sein Maskengesicht. Das Handy, das er dem Bärtigen abgenommen hatte, klingelte in seiner Jackentasche. Er nahm es heraus und starrte auf das Display. Er musste sich beeilen. Er sprang auf, lief durch die Reihen seiner Opfer und stieß mit dem Fuß gegen die Ringe, die am Boden befestigt
Weitere Kostenlose Bücher