Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
mir wäre das: Hand drauf! Das langt bei solchen Verträgen wohl nicht?«
Der Graf lacht. Er stellt sich Bischof Emicho und König Adolf von Nassau bei einem bäurischen Viehhandelshandschlag vor:
»Hand drauf: Werdenfels bleibt reichsunmittelbar! Grainau kriagscht obendrauf!«
Es hatte sehr lange gedauert, bis dieser Vertrag zustande gekommen war.
»Als neunundfünfzigsten Punkt«, hatte der König gesagt, »nehmen wir auf, dass der Vertrag für alle Ewigkeit dauern soll.«
»Mit Verlaub, Majestät«, hatte Folkhart sich gemeldet. »Ich würde die Formulierung
für alle Ewigkeit
nicht in einen solch wichtigen Kontrakt aufnehmen. Die Ewigkeit ist kein gültiger Vertragszeitraum. Wegen solch eines zweifelhaften Punktes kann der ganze Vertrag später von einem spitzfindigen Advokaten angefochten werden.«
»Was schlagt Ihr also vor?«
»Wir sollten eine wirkliche Zahl nennen.«
»Dann sagen wir halt: die nächsten fünfhundert Jahre.«
Der Beichtvater von König Adolf mischte sich ein.
»Ich schlage vor, dass er
sechshundertsechsundsechzig
Jahre dauern soll. – Nein, das ist eine schlechte Zahl, das ist ausgerechnet die Zahl des Teufels – sagen wir
siebenhundertzwanzig
Jahre.«
»Warum gerade so viel?«
»Nach dem Buch Henoch ist das die genaue Anzahl der Engel im Himmel.«
»Ich erlaube mir also als Punkt neunundfünfzig zu Papier zu bringen, dass der FAVOR CONTRACTUS die nächsten siebenhundertzwanzig Jahre gelten soll.«
»Und was steht sonst noch drin?«, fragt Odilo Stunden später den Grafen, als sie durch weites, grünes Land reiten.
»Wie soll ich dir Bauernschädel das erklären? Also: Der Bischof und der König, du erinnerst dich noch?«
»Freilich.«
»Der Bischof will aus dem Werdenfelser Land eine Insel der Seligen machen. Ein eigenständiges kleines Land, in dem die bayrischen Herzöge nichts mehr zu sagen haben.«
»Und die Tyroler und Salzburger, die Lumpen?«
»Die auch nicht.«
»Und wann soll das dann sein?«
»Wenn der Vertrag abgefasst ist. Schriftlich. Und lateinisch. Die Abfassung muss von Zeugen gesehen und besiegelt werden. Und man braucht auch noch einen bewaffneten Fürsprecher. Der auch in zwanzig Jahren noch bewaffnet ist. Und in siebenhundertzwanzig Jahren auch noch. Falls der Vertrag einmal nicht eingehalten wird. Kein Vertrag ohne Waffen. Wie lehrte Cicero:
Non sunt pacta sine armis.
«
»Du, Herr Fürst, du immer mit deinem Cicero.«
Und so reiten sie im Frühjahr 1294 schweigend dahin, Richtung Rom: der Werdenfelser Bauernbursch, acht Regensburger Berittene, schließlich Folkhart von Herbrechtsfeld, der Rechtsgelehrte und Siegelhalter. Kurz vor Verona entdecken sie von einem Hügel aus einen Trupp verstreute Soldaten in zerfetzten Uniformen.
»Angreifen?«, fragt einer der bulligen Regensburger erwartungsvoll und rückt seine Sonnengläser zurecht.
»Umgehen«, antwortet Folkhart von Herbrechtsfeld. Er ist kein Springinsfeld, kein Haudrauf und Bramarbas. Er ist ein besonnener Mann. Nur so kann man in diesen Zeiten überleben. Er klopft auf seine Satteltasche. Dort steckt der FAVOR CONTRACTUS . Brillant abgefasst, dieser Vertrag. Der Graf ist stolz auf einige Formulierungen. Trotzdem hofft er, dass die brisante Mission möglichst bald zu Ende ist.
9
Irgendetwas arbeitete in Jennerwein. Ohne nach links und rechts zu blicken, den Kopf zu Boden gesenkt, die Hände in die Taschen vergraben, ging er den Uferweg an der Loisach entlang. Er hatte sich wirklich bemüht, loszulassen und sich zu entspannen. Er hatte vorgehabt, den freien Tag zu genießen und zu verbummeln. Doch sein Verstand, der sture Bock, arbeitete weiter im Ermittlungs-Modus. Immer wieder drängten sich die beiden Silben in den Kopf. Waren ›hu‹ und ›gu‹ gar keine Spitznamen, sondern polizeiinterne Kürzel?
Die Abkürzungen der bayrischen Polizei, die die Beamten intern verwendeten, um sich untereinander zu verständigen, waren bunt und vielsagend, manchmal auch äußerst verwirrend und zweideutig. Jennerwein jedoch hatte so ziemlich alle im Kopf, auch die selten gebrauchten. Seine Polizeikollegen mussten nachschlagen, er jedoch hatte sie in den meisten Fällen parat: » BEFA « zum Beispiel bedeutete eine beobachtende Fahndung; »bewa« hingegen war das Kürzel für bewaffnet; unter » DWE « verstand man einen Dämmerungswohnungseinbruch; unter » EMD « den Entminungsdienst; unter DigeChriBa den dienstlich gelieferten Christbaum; hinter der harmlosen Silbe »ge«
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