Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
fließt. Der Graf schätzt ihn, denn Odilo ist gewitzt, bauernschlau und ortskundig. Folkhart muss in letzter Zeit oft zwischen dem Kaiserreich und den Ländereien des Papstes hin- und herreisen. Da kommen dem Grafen die Ortskenntnisse von Odilo gerade recht.
»Reiten wir gar nach Rom, mein Fürst?«
»Ich bin kein Fürst, Odilo. Wann wirst du das nur lernen?«
Das Leben in dieser Zeit ist gefährlich. Reisen ist gefährlich. Verträge machen und den Vertrag in der Satteltasche mit sich führen ist gefährlich. Wohlhabend sein ist gefährlich. Arm sein ist gefährlich. Graf sein ist gefährlich. Bauer sein ist gefährlich. König sein ist vielleicht sogar das Allergefährlichste. Der Graf weiß dies. Er hat deshalb einen Tross von Lanzenreitern in Dienst genommen, der soll ihn beschützen vor üblem Diebsgesindel, Brandschatzern, Beutelschneidern, vagierenden Soldaten, verzweifelten Ehrlosen, landschädlichen Vogelfreien oder einfachen Mordgesellen. Der Rückwärtige Dienst von Folkhart besteht aus acht ehemaligen gutausgebildeten Waffenknechten aus Regensburg. Sie alle tragen dunkle Augengläser, feingeschliffene
berilli
aus der Werkstatt Giordano da Rivaltos. Die Waffenknechte sehen furchteinflößend aus damit. Und das ist auch durchaus beabsichtigt. Wer den Weg nach Süden ungeschützt beschreitet, läuft Gefahr, geradewegs ins Verderben zu rennen. Die Handelsrouten über die Alpen sind die unsichersten in der ganzen christlichen Welt. Folkhart und seine Gefolgschaft sind mit den Vorbereitungen beschäftigt. Endlich meldet der Diener Odilo, dass man bereit sei für die beschwerliche Reise über die Alpen. Er verbeugt sich. Er hält die Hand hoch, um eine Frage stellen zu dürfen.
»Was gibt es denn noch?«
»Herr, wirst du denn Kardinal werden in Rom? Ich vielleicht auch? Am Ende wir alle?«
Der Graf lacht.
»Nein, so weit wird es nicht kommen. Ich werde Bischof Emicho einen Brief überbringen, dann werde ich für den Sekretär des Heiligen Vaters eine Abschrift davon machen.«
»Zum Heiligen Vater! Ja, leck mich fett! Zum Papscht wollen wir gehen?!«
»Beim Papst flucht man nicht, Odilo!«
»Ich fluch ja bei uns und nicht beim Papscht.«
Sie reiten nach Süden. Nach vielen Tagen kommen sie durch die Heimatstadt von Odilo, durch den Flecken Germareskauue. Zwanzig Einwohner hat die Ortschaft. Trotzdem sind die Bewohner stolz auf ihren wilden Talkessel, der angeblich auch nicht ganz bären- und wolfsfrei ist. Viele Sagen und Legenden von Hexen und Riesen erzählt man sich dort. Odilo grüßt einige Verwandte.
»Reitscht nach Trull?«, fragt sein Opa.
»Nein, Opa, wir reiten nicht nach Tirol. Wir reiten noch weiter. Bis nach Rom. Zum Heiligen Vater. Zum Papscht.«
»Leck mich fett! Zum Papscht reitscht!«
»Opa, man flucht nicht, wenn man vom Papscht redet.«
Sie verabschieden sich. Sie ziehen mit ihrem Tross die Loisach flussaufwärts. Sie gelangen ins Inntal. Mühevoll überwinden sie die erste große Bergkette. Auf einem verschneiten Pass kommen sie in eine lebensbedrohliche Situation. Sie geraten in einen Hinterhalt und werden von einer Horde wild aussehender Räuber angegriffen. Die gewappneten Mannen des Grafen Folkhart von Herbrechtsfeld können sie abwehren.
Sie reiten weiter. Sie bezwingen steile und gefährliche Passwege. Nach zwei beschwerlichen und entbehrungsreichen Wochen stehen sie auf einer grünen Anhöhe. Unter ihnen breitet sich ein großer See aus. Odilo der Knecht schüttelt enttäuscht den Kopf.
»Herr, ich glaube, dass wir im Kreis umeinandergeritten sind.«
»Warum im Kreis?«
»Mir kommt es so vor, als wäre das da unten der See bei Starnberch!«
Der Graf lacht.
»Das ist nicht der Starnbercher See, Odilo. Er sieht nur so aus. Das ist der Lago di Garda. Wir sind im Land der Trentiner.«
Sie stehen und staunen über das zarte Blau, das sich über den See wölbt. Sie spüren den warmen Wind auf der Haut.
»Aber Euer Gnaden, wenn ich fragen dürfte: Was steht jetzt in dem Briaferl, das wir nach Rom bringen? Was Heiliges?«
Folkhart erklärt es.
»Es geht um nichts Heiliges, sondern um etwas Vertragliches. Bischof Emicho von Freising hält sich gerade in Rom auf.«
»
Unser
Bischof Emicho? Dem das Werdenfelser Land gehört?«
»Eben der. Er hat mit dem König einen Vertrag geschlossen, einen Vertrag mit unüberschaubar vielen Klauseln, Paragraphen und Winkelzügen.«
»Und die Klauseln hast alle du geschrieben, Herr?«
»Ja, die meisten davon.«
»Bei
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