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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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diesem kleinen Gefühlsausbruch als Zugabe hatte Houdini noch zwei Sekunden mehr Zeit, sein Behelfswerkzeug in die freie Hand zu bekommen. Er war stolz auf sich. Er hob die freie Hand scheinbar resigniert in die Höhe und ließ sie in der Nähe der gefesselten Hand fallen. Jetzt musste er auf die nächste Ablenkung warten. Doch zur Überraschung Houdinis gab der Gangster selbst diese Ablenkung.
    »Und dann noch eines«, fauchte er durchs Megaphon. »Ab jetzt wird nicht mehr gequatscht. Keiner sagt mehr was. Es gibt auch gar keinen Grund dazu.«
    Er hielt die Maschinenpistole drohend hoch.
    »Wer spricht, dem gebe ich eins aufs Maul. Verdammte Saubande. Ich kann euch schon jetzt nicht mehr sehen.«
    Das genügte Houdini. Ein beherzter Stoß mit dem Impro-Pick. Ein vorsichtiges Entlangfahren am Schlüsselkanal des Schlosskerns. Ein behutsamer Druck auf den ersten Stift. Auf den nächsten Stift. Auf den dritten Stift. Auf den vierten Stift. Eine leichte Drehung des Schließzylinderkerns.
     
    Das Schloss öffnete sich geräuschlos.
     
    Er war frei.
     
    Aber was jetzt? Houdini brach der kalte Schweiß aus.

8

    G raf Folkhart ist der süeszen worte sô volle, sîn bluot ist geedelt, sîn rîcheit und sîn wîs-tuom ist nieman sagebære. gëster war der vünfzehnt tac vor ôstern, wir schrîben das jahr …
    (Der leichteren Verständlichkeit wegen wurde diese historische Originalquelle von Herrn Professor Dr. Manuel Seidensticker aus dem Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche übersetzt.)
     
    Es ist der fünfzehnte Tag im Ostermonat des Jahres 1294 . Graf Folkhart von Herbrechtsfeld sitzt im Gastsaal einer Burg in der Nähe der alten Reichsstadt Aachen. Der Raum ist eng, niedrig, schlecht durchlüftet, die Fenster sind winzig, das Licht zwängt sich durch das löchrige Dach, aus den Ritzen tropft es. Ratten huschen über den fauligen Holzboden. Der Graf sitzt an einem kleinen Holztisch und studiert blinzelnd den Kalender. Wegen des spärlichen Lichts in der Stube hat er nach Kerzen verlangt, doch man hat ihm gesagt, es gäbe keine mehr. Die Transportkutsche des Lebzelters mit der Wachslieferung aus Ems im Herzogtum Steiermark sei überfallen worden. Der Graf streicht mit den Fingern über das Pergament. Er kann es auch ohne Licht erkennen: Das Blatt ist aus feinster, glattgeschmirgelter Ziegenhaut gearbeitet. Der Kalender ist ein Geschenk der Freifrau von Höhningen-Reuß. Er hat sie in Erbstreitigkeiten beraten, die Sache ging zu ihren Gunsten aus, sie hat ihm dafür den Kalender beim Buchfeller anfertigen lassen. Nach einem Verzeichnis der Festtage, den Sonnen- und Mondfinsternis-Terminen folgen die Aderlass-Empfehlungen der Ärzte. Den größten Raum des Kalenders nehmen jedoch die Hinweise und Ratschläge ihres Astrologen Eysinger ein: »Im Saturn, der seine eigenen Kinder frisst, Fehden beenden ungünstig ist.« Der Graf von Herbrechtsfeld schnaubt verächtlich. Er hat keine gute Meinung von der Astrologie. Er betreibt Rechtsgeschäfte. Er liebt die klaren Linien altlateinischer Prozessargumentationen und griechischer Vertragslogismen. Folkhart hält Astrologie für reine Zeitverschwendung, er kommt auch ganz gut ohne sie aus. Vor einigen Jahren ist sein Vater gestorben, ein gutmütiger Graf mit weitläufigen Ländereien, die nach seinem Tod unter den drei Söhnen aufgeteilt wurden. Folkhart verzichtete jedoch auf sein Erbteil. Während seine Brüder allesamt den Beruf des wehrhaften Ritters ergriffen, reiste er nach Siena, um Rechtswissenschaften zu studieren. Momentan ist er ein vielbeschäftigter Mann. Er eilt durch die Adelsherrschaften und Ländereien, um hochgestellte Familien, aber auch reiche Großbauern und wohlhabende Bürger in Vertragssachen zu beraten und ihnen bei der Abfassung von Kontrakten aller Art zur Seite zu stehen. Bei Streitigkeiten heißt es oft nur: Ruf den Herbrechtsfelder! Die Bauern entlohnen ihn mit Naturalien. Bei Grenzsteinfestsetzungen etwa bekommt der Graf pro Markstein ein Pfund Schmalz. Die sichere Aufbewahrung von Schuldscheinen wiederum verschafft ihm das Anrecht auf eine Kuh oder einen Ochsen. Er macht sich um seine Zukunft keine Sorgen. Seine Fähigkeiten sind hoch geschätzt, landauf, landab verlangt man nach seinen Diensten. Seine Einkünfte fließen so reichlich, dass er sich zuverlässige und ehrliche Dienstboten leisten kann. Er hat im Lauf der Zeit viele Titel angehäuft: Er ist Siegelhalter des Fürstbischofs von Mainz, Truchsess der württembergischen

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