Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Wärmebildkameras erkennen konnte. In Sekunden lief ein oft eingeübtes Programm ab: Eigensicherung, Opfersicherung, Suche nach Verletzten und Toten, Kurzdiagnosen, Anweisung zum Abtransport der Verletzten in der Reihenfolge der Schwere der Verletzungen. Man hörte es: Zwei Sanitätshubschrauber kreisten schon in der Luft.
Drei Meter von Jennerwein entfernt hatte solch ein SEK -Mann seine Arbeit gerade beendet. Er hatte den Liegenden auf Waffen durchsucht, den Puls gefühlt, beruhigend auf ihn eingesprochen und ihn schließlich von den Handschellen befreit. Gerade zog er ihm vorsichtig die Maske vom Gesicht. Jennerwein erkannte ihn sofort, trotz des erschöpften und zerschrammten Gesichts und trotz der dreißig Jahre, die vergangen waren. Es war Dietrich Diehl.
»Öffnen Sie die Faust!«, sagte der SEK -Mann plötzlich zu dem zerschrammten Mann. Er sagte es ruhig, aber mit eisiger Strenge. Doch jetzt wurde er lauter.
»Öffnen Sie sofort die Faust!«
»Der neunte August!«, keuchte der Mann am Boden. »Der Tag des Zorns!«
Er öffnete die Faust, und ein kleiner Chalzedon-Stein glitt durch seine Finger.
DR. DIETRICH DIEHL
Veterinärmedizinische Praxis
für Klein- und Kleinsttiere
Stein des Tages:
Chalzedon, ein heiliger Stein der Indianer, fördert Brüderlichkeit und Wohlwollen. Chalzedon lindert Feindseligkeit, Reizbarkeit und Melancholie.
Liebe Freunde,
wie freue ich mich auf den Ausflug ins Blaue! Fichtl wird das alles sicher wieder hervorragend organisieren. Ich habe natürlich sofort ein ausführliches Tageshoroskop für den neunten August erstellt. Ich bringe es euch mit – ihr werdet staunen! Mir geht es gut. Ich überlege gerade, ob ich meine Tierarztpraxis aufgebe und mich voll und ganz meinen Horoskopen und dem Pendeln widme. Ich freue mich auch schon auf das Felsenfest – und werde wie immer Nudelsalat mitbringen!
Also auf bald –
Euer Diehl Dietrich, Pendler zwischen den Welten
PS : Wenn einer von euch mal ein ausführliches Horoskop braucht – ich mache einen Sonderpreis für alte Klassenkameraden!
39
Auf der Kramerspitze.
Hauptkommissar Ludwig Stengele saß in der offenen Tür des Hubschraubers, die Füße auf den Kufen, gut fünfzehn Meter über dem Gipfel des Kramerhochplateaus, um seinem Chef mit der Dienstwaffe Deckung zu geben. Für alle Fälle. Er war zwar genauso wie Jennerwein der Meinung, dass es in dieser Angelegenheit zu keinem Schusswechsel mehr kommen würde – Stengele nahm an, dass der Geiselgangster schon über alle Berge war, diesmal im wahren Sinn, und dass er auch schon erreicht hatte, was er wollte. Aber trotzdem. Sicherheit ging vor. Der Hubschrauber hielt sich starr in der Luft, wie eine dicke, unschlüssige Hummel angesichts einer zweifelhaft riechenden Blüte. Stengele blickte auf den Rauchpilz, aus dem jetzt nur noch das Gipfelkreuz – und die Gestalt Kommissar Jennerweins ragten. Er kannte die Vorliebe von Schimowitz für dichte Vernebelungen des Angriffsziels. Es hatte eine Auseinandersetzung zwischen dem SEK -Einsatzleiter und Jennerwein über Funk gegeben.
»Lassen Sie das doch mit den Rauchschwaden«, hatte Jennerwein gesagt. »Der Täter ist schlauer als wir denken. Der rechnet genau damit und entkommt uns noch im Nebel.«
»Dann kann ich für die Sicherheit der Geiseln nicht garantieren. Opferschutz geht vor Fahndungserfolg.«
Das hatte Jennerwein überzeugt.
Auch Stengele hatte versucht, sich noch einige Einzelheiten einzuprägen, bevor die ersten Rauchgranaten in hohem Bogen aufs Plateau geworfen wurden. Die Geiseln waren in sehr großem Abstand voneinander am Boden fixiert worden. Außergewöhnlich, dachte Stengele. Man kann Geiseln wesentlich besser kontrollieren, wenn man sie eng zusammenpfercht. Sie gehen sich gegenseitig auf die Nerven, sie sind leichter manipulierbar. Pfuscher oder Genie? Hm. Das Zweite, was ihm auffiel, waren die Masken. Hexenmasken. War hier eine sadistische Perversität im Spiel? Oder war es vielmehr ein geschickter Schachzug? Der Rauch löste sich langsam auf. Trotzdem konnte er nicht erkennen, ob eines der Opfer verletzt war. Das festzustellen war der Job der Männer dort unten. Stengele beugte sich weiter vor. Von einem Gewalttäter keine Spur. Etwas entfernt von den Geiseln lagen ein Stoffsack, eine Waffe und ein Megaphon. Er schoss ein paar Fotos. Dann suchte er die nähere Umgebung des Bergplateaus ab. Die Männer des SEK waren zwar gut getarnt, olivfarben und braungrün gefleckt,
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