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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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aber Stengele konnte sie trotzdem ausmachen. Sie hatten sich schnell und dennoch mit größter Vorsicht auf das Plateau zubewegt, waren lautlos in den sich ausbreitenden Rauch geschlüpft und waren im Moment dabei, die Aktion abzuschließen. In einiger Entfernung zum Gipfelkreuz fiel Stengele eine Stelle auf, die sich durch ihre hellere Färbung vom Felsgrund abhob. Es war eine flache Mulde, die die Größe eines ausgebreiteten Picknicktuchs für zwei Personen hatte. Dort war kaum Geröll zu sehen, es schien, als ob jemand die Steine weggescharrt hätte, um die Sandschicht darunter freizulegen. Und jetzt war Stengele hellwach. Eine Adrenalinwelle durchflutete seinen Körper. Er nahm das Fernglas auf, das um seinen Hals baumelte, und richtete es auf die kleine ockerbraune Mulde. So etwas hatte er schon mehr als einmal gesehen. In Französisch-Guayana, auf den Tafelberg-Klippen. Dann in Südfrankreich, im Ausbildungslager in Laudun-l’Ardoise. Stengele war hochgradig erregt. Genau so könnte der Geiselnehmer geflohen sein. Er musste sofort absteigen und die Stelle untersuchen.
     
    Kramerspitze – die zweite.
     
    Hundert Kilometer weiter nördlich, in der Hauptstadt der Bayern, in den ehrwürdigen Gemäuern des Bayrischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie (Originalabkürzung: BS t MWIVT ), beschäftigte man sich ebenfalls mit der Kramerspitze, dort jedoch in verkehrstechnischer Hinsicht. Denn nunmehr war es beschlossene Sache: In naher Zukunft sollte unter dem ganzen Kramergebirge ein Autotunnel durchführen, der die Urlauber schnell von Hamburg nach Palermo, jedenfalls auf die südliche Seite der Alpen bringen sollte. Der Bau des Kramertunnels hatte inzwischen schon einiges an Unterhaltungswert geboten, eine bunte Mixtur aus Baufeststellungsverfahren, Raumordnungsbeschlüssen, Erörterungsterminen, Klagen und Gegenklagen hatten die Bohrungen verzögert. Vor fünfunddreißig Jahren waren die ersten Entwürfe vorgelegt worden, aus vielen Gründen war dann lange nichts weitergegangen. Die Naturschützer. Die einheimische Hotellerie. Die Olympischen Spiele. Die Bauern. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof. Der Landkreis. Die Verkehrsstrategen. Die amerikanische Garnison. Jahrzehntelang wurde das Bauvorhaben aufgeschoben, jetzt aber war es endlich so weit. Der Bürgermeister hatte den kühnen Schlag getan. Mit dem Ruf »O’bohrt is!« hatte er den Meißel in den Stein getrieben, er hatte, angetan mit der silbernen Amtskette, die ersten Zentimeter freigelegt, ohne dass er auch nur eine Wasserader getroffen hätte. Schon Tage später wurde der Fels mit schwerem Gerät bearbeitet. Ein paar hundert Meter ging es gut. Doch dann: Wie wenn ein namenloser Berggott gezeigt hätte, wo der Hammer hängt, war man bei den Probebohrungen auf Lockergestein und Grundwasser gestoßen. Aber sei’s drum: Irgendwann würde sich ein Tunnel unter dem Kramer hindurchschlängeln, und er würde, so viel stand schon fest, den Namen einer bekannten (und hoffentlich bis dahin immer noch bekannten) Skirennläuferin tragen. Einen Namen hatten die Strategen also schon, dann würde zu den Bohrungen nicht mehr viel fehlen. Zu den
offiziellen
Bohrungen, wohlgemerkt. Denn es gab darüber hinaus auch inoffizielle Bohrungen, von denen die Öffentlichkeit und auch der Bürgermeister nichts wussten.
     
    Kramerspitze – die dritte.
     
    Diese inoffiziellen Aktivitäten wurden tausend Kilometer weiter südlich gelenkt.
    »Und? Wie sind deine Arbeiten vorangegangen, lieber österreichischer Freund?«, fragte ein dicker, heiserer Mann im fernen Italien. Er wandte sich an einen kleinen, drahtigen Mann mit unruhig von Punkt zu Punkt springenden Augen. Der Angesprochene legte Messer und Gabel beiseite, tupfte sich den Mund und sagte nur:
    »Narrisch guat.«
     
    Der Österreicher Karl Swoboda, Problemlöser der Ehrenwerten Familie, hatte eine brillante Idee gehabt. Wenn der Kramer schon angebohrt wurde – warum sollte man da nicht mitmachen!
    »Wir waren schon immer gut im Kurort präsent«, sagte Swoboda. »Wir sollten es bleiben. So ein Tunnel hat viele Vorteile. Zum Beispiel ist er unerreichbar für jegliche Funkortung.«
    »Was hast du vor, Swoboda? Wahrscheinlich etwas, was mich viel Geld kostet!«
    »Ja, aber es wird sich lohnen. Wir zapfen den Kramertunnel an. Wir machen eine Querbohrung. Am Kramerhang gibt es einen Haufen Häuschen mit Grundstücken zum Berg hin. Viele davon sind harmlose Fremdenpensionen.

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