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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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gedrückt hielt, konnte man sich nach links oder rechts bewegen und sogar richtig im Kreis, um eine 360-Grad-Ansicht zu erhalten. Wenn einem etwas in einem Schaufenster oder einem Restaurant ins Auge fiel, konnte man es heranzoomen. Und dann konnte man, wenn man wollte, sogar lesen, was das Tagesgericht kostete – »Leber mit Zwiebeln 5,99«.
    Auch ich tummelte mich gelegentlich auf dieser Seite. Letztes Jahr hatte ich auf einer Reise nach Toronto einen Freund aus College-Tagen besucht, der im East End gleich südlich der Queen Street in dem angesagten Viertel »The Beach« wohnte. In seiner E-Mail hatte er geschrieben, ich solle ihn zu Hause abholen, von da würden wir in ein italienisches Lokal ganz in der Nähe gehen.
    Ich war auf Whirl360 gegangen, von seinem Haus hinauf zur Queen Street gelaufen und hatte mich dort in ein paar Straßen links und rechts umgesehen. Entdeckte nur zwei Restaurants. Schlug sie online nach, fand das, das sich als italienisches Restaurant bezeichnete, studierte online die Speisekarte, und noch ehe ich das Lokal betreten hatte, wusste ich, dass ich die Hummer-Ravioli nehmen würde.
    Ich verstand also durchaus, warum das Ganze so faszinierend war, dass für jemanden wie Thomas mit dieser neuen Technologie ein Traum in Erfüllung gegangen war. So wie es einem Fan von Raumschiff Enterprise ergehen mochte, der eines Morgens erwacht und feststellt, dass er tatsächlich auf der USS Enterprise lebte.
    Die Straße, die Thomas gerade im Visier hatte, war mir unbekannt. Sie war schmal, gerade breit genug, um als Einbahnstraße für den Verkehr nutzbar zu sein. Am rechten Straßenrand parkten Autos. Ich nahm an, es sei eine Straße irgendwo in Europa.
    Ich stellte das Eis neben das Telefon. Thomas hatte hier oben seine eigene Leitung. Unsere Eltern hatten sie legen lassen, als man sich noch über Telefon ins Internet einwählen musste. Thomas verbrachte so viel Zeit im Netz, dass kaum mehr jemand unsere Eltern erreichen oder sie jemanden anrufen konnten. Diese zweite Leitung bedeutete, dass Thomas sich nun so lange im Netz herumtreiben konnte, wie er wollte. Jetzt, wo wir WLAN im Haus hatten, brauchte Thomas das Telefon eigentlich gar nicht mehr. Die einzigen Anrufe, die er bekam, waren von Leuten, die ihm etwas verkaufen wollten.
    Er warf einen Blick auf das Eis und fragte: »Keine Schokosauce?«
    »Die ist alle«, antwortete ich, obwohl ich gar nicht danach gesucht hatte. »Wo ist das?«
    »Salem Street.«
    »Salem Street wo?«
    »In Boston. North End.«
    »Ah, ja, natürlich. Ich dachte nur, du verbringst neuerdings deine ganze Zeit in Paris.«
    »Ich komm herum«, sagte Thomas. Ich wusste nicht, ob er das im Spaß gesagt hatte, aber ich lachte.
    »Fällt dir irgendwas auf?«, fragte er.
    Ich sah genauer hin. Außer den Autos waren auch Menschen auf der Straße unterwegs, die Gesichter alle unscharf. Anscheinend war es gängige Praxis bei Whirl360, Gesichter, die frontal zu sehen waren, unkenntlich zu machen. Autokennzeichen ebenso. Einige der Straßenschilder konnte ich nicht entziffern.
    »Nein«, sagte ich.
    »Siehst du diesen silbernen Geländewagen?« Er zeigte darauf. Er war rechts im Bild zu sehen.
    »Ja, den seh ich.«
    »Sieh mal, was der gemacht hat. Er ist dem anderen, dem blauen da, vorne reingefahren. Wenn man genau hinschaut, sieht man, wo er den Scheinwerfer des blauen Autos erwischt hat.«
    »Kannst du das vergrößern?«
    Thomas klickte ein paarmal. Die hintere Stoßstange des Geländewagens und das Vorderteil des blauen Wagens wurden größer, verloren aber an Schärfe.
    »Du hast vielleicht recht«, sagte ich.
    »Du siehst es auch, oder?«
    »Ja. Das heißt, die von Whirl360, die da mit ihrem Fotowagen rumgefahren sind, haben genau in dem Augenblick abgedrückt, als der Typ dem anderen rückwärts reingefahren ist. Alle Achtung! Die haben einen Unfall fotografiert, wie er gerade passiert, und du hast ihn entdeckt. War’s das?«
    »Ich wette, der Fahrer des Geländewagens hat nicht mal gemerkt, dass er dem anderen reingefahren ist«, sagte Thomas und löffelte sich Eis in den Mund.
    »Kann sein«, sagte ich. »Ich werde jetzt ein bisschen fernsehen. Kommst du auch? Wir laden uns einen Film runter, was meinst du? Irgendwas mit authentischen Orten, damit du dich nicht ärgern musst.«
    »Wir müssen das melden«, sagte Thomas. »Der Besitzer des blauen Autos muss doch erfahren, wer das gemacht hat.«
    »Thomas. Also wirklich. Erstens verpixeln sie die Nummernschilder, du hast

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