Fenster zum Tod
nicht. Aber ich glaube, dass das am Fenster diese Olsen ist. Sie wurde umgebracht und deshalb hat sie niemand mehr gesehen.«
»Aha. Und warum wurde sie umgebracht?«
Er überlegte einen Augenblick. »Damit Mr. Blocker ihre Wohnung haben kann, wenn er nach Manhattan kommt.«
Ich lachte. »Also das ist deiner Meinung nach des Rätsels Lösung? Jemand brauchte eine Wohnung und beging einen Mord, um eine zu kriegen?«
»Ich habe gehört, dass es in New York schwierig ist, an Mietwohnungen zu kommen«, sagte Thomas todernst.
»Ich war in dem Haus. Ich glaube nicht, dass es da eine Wohnung gibt, für die jemand einen Mord begehen würde.« Ich legte die Hände auf den Tisch. »Hör zu, Thomas, gehen wir das Ganze doch noch mal durch. Alles, was wir wissen, ist, dass da einmal zwei Frauen gewohnt haben und dass sie jetzt nicht mehr da wohnen. Und dein Freund, der Vermieter, sagt, Mr. Blocker zahlt jetzt die Miete, wohnt aber nicht da.«
»Der Vermieter ist nicht mein Freund. Ich kenne ihn nicht einmal.«
»Du hast recht. Aber das bisschen, was wir wissen, reicht noch nicht für einen Mord.«
»Aber eine Frau wird vermisst.«
»Sagt der Vermieter, der allerdings kein Ermittler bei der New Yorker Polizei ist. Vielleicht ist die Frau ja wieder aufgetaucht, nur hat sich niemand die Mühe gemacht, es ihm zu sagen.«
»Gute Idee«, sagte Thomas.
»Was ist eine gute Idee?«
»Die Polizei in New York anzurufen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass das eine gute Idee ist. Ich habe nur gesagt, dass der Vermieter nicht unbedingt die beste Informationsquelle ist.«
»Dann sollten wir zur besten Quelle gehen.«
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«
»Dann kann ich ja eine E-Mail an die CIA schicken und darum bitten, dass sie sich mit ihnen in Verbindung setzen.«
Das war jetzt ganz bestimmt keine gute Idee.
»Gut«, sagte ich, »überlass das mir. Ich werde bei der New Yorker Polizei anrufen und mich erkundigen, ob die verschwundene Frau wieder aufgetaucht ist.«
»Und sag ihnen auch, sie sollen sich auf Whirl360 das Gesicht an diesem Fenster in der Orchard Street ansehen.«
»Alles klar.«
Thomas widmete sich wieder seinen Frühstücksflocken. Ich stieß einen unhörbaren Seufzer der Erleichterung aus. Damit war die Sache erledigt. Allerdings auf eine andere Art, als Thomas sich das wohl vorgestellt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei der Polizei in New York anrufen würde, war ungefähr genauso hoch wie die, dass sich dort jemand für einen eventuellen Anruf meinerseits interessieren würde.
Ich konnte direkt hören, wie der New Yorker Ermittler reagierte, wenn ich ihm erzählte, dass mein Bruder glaubte, einen Mord im Internet gesehen zu haben. Derselbe Bruder, der mittlerweile beim FBI aktenkundig war, weil er einem ehemaligen Präsidenten Berichte schickte, um ihn über seine Fortschritte beim Auswendiglernen von Stadtplänen auf dem Laufenden zu halten.
O ja, diesen Anruf musste ich machen. Unbedingt.
Zu Thomas sagte ich: »Darf ich dich was fragen?«
»Schieß los«, sagte er. Ein Tropfen Milch lief ihm übers Kinn.
»Wenn dieser GAU passiert, wenn alle Karten im Internet sich in Luft auflösen, was wird deiner Meinung nach die Ursache dafür sein?«
Er legte seinen Löffel aus der Hand und tupfte sich das Kinn mit einer Papierserviette ab.
»Ich halte einen Angriff von Aliens für am wahrscheinlichsten«, sagte er ganz sachlich. »Höchstwahrscheinlich von außerhalb unseres Sonnensystems. Es wäre allerdings auch möglich, dass er von der Venus oder vom Mars kommt. Wenn die Außerirdischen unsere Kartographiesysteme außer Gefecht setzen, wird es für sie leichter sein, unbemerkt irgendwo zu landen.«
Ein Gefühl der Trauer und Hoffnungslosigkeit überkam mich.
»Reingelegt!«, sagte Thomas ohne den leisesten Anflug eines Lächelns. »Du müsstest mal dein Gesicht sehen.«
Ich sagte Thomas, ich führe in die Stadt und wäre in etwa einer Stunde wieder zurück.
Er klickte munter weiter. »Mhm.«
»Ich möchte, dass du heute Mittagessen machst. Für uns beide. Und ich mache Abendessen.«
Jetzt hörte er auf und wirbelte herum. »Und wegräumen soll ich auch?«
»Ja. Hey, Julie hat mir erzählt, dass du in der Highschool auf Margaret Tursky gestanden hast. Stimmt das?«
»Ich wüsste nicht, dass dich das irgendwas angeht.«
Einen Versuch war’s wert.
»Bis später«, sagte ich. Er nickte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Ich hatte nicht vor, lange auszubleiben.
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