Ferdinand Graf Zeppelin
fixieren.
Inzwischen zeichneten sich ganz fern am Horizont die scharfen Konturen von Gewitterwolken ab. »Da hinten scheint sich etwas zusammen zu brauen.«
Der kommandierende Offizier der Haltemannschaft runzelte sorgenvoll die Stirn. »Sechs Leute zusätzlich vorne an die Halteleinen!« befahl er vorsichtshalber. »Die Pflöcke und die Ankeregge überprüfen!«
Allmählich verfinsterte sich der Himmel.
14 Uhr 52. Exakt um diese Zeit nahm die Katastrophe ihren Lauf.
Zunächst war an der Landestelle nur ein unruhiger böiger Wind zu verspüren. Wieder richtete sich der locker am Bug vertäute Ballon in die Windrichtung und schwebte ruhig in seiner Position wenige Zentimeter über dem Boden. Mehr nicht. Ein harmloses Lüftchen. Alles blieb ruhig und unter Kontrolle – so, wie das schon in den ganzen Stunden zuvor der Fall gewesen war. Keinerlei Gefahr in Sicht. Weshalb auch. Die einzige Sorge der Menschen galt lediglich der Frage, ob es tatsächlich regnen würde und falls ja, wie stark. »Es wird eher nicht regnen. Das zieht vorbei! Man spürt es ja am Wind. Der wird die Wolken vertreiben.«
»Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Schau doch nur, wie hoch die Wolkenwand schon aufragt.«
»Der Wind wird sie trotzdem auseinander blasen.«
»Er kommt aber direkt von dort hinten. Faszinierend, wie ruhig das Luftschiff dennoch daliegt …«
Die Zeiger der Chronometer rückten auf exakt 14 Uhr 54. Da geschah es: eine überfallartige Windböe. Schlagartig bedeckte eine riesige, dunkle Mauer den Himmel. Grauer Staub, vermischt mit Regentropfen, wälzte mit einer enormen Geschwindigkeit direkt auf die Landestelle zu. Eine zweite Windböe – Schreckensschreie!
Der Stoß prallte seitlich auf das Luftschiff, das sich aber, scheinbar unbeeindruckt, nur ganz langsam in die neue Windrichtung bewegte.
Aber jetzt! Schon der nächste Aufprall! Wesentlich stärker. Eine einzige mächtige Staubwolke, in der alles zu versinken scheint. Das Heck des Schiffes hebt sich und schwenkt unvermittelt heftig nach Osten. Den Soldaten der Haltemannschaft reißt es die Seile aus den Händen. Und jetzt erzittert der Bug! Zerrt an den vorderen Halteseilen und zieht die Pfähle samt der Ankeregge wie Butter aus dem Boden. Das Luftschiff ist frei! Weiter wird es von der Sturmböe auf seiner Längsseite nach Osten gedrückt, gewinnt gleichzeitig an Höhe, während einige Soldaten weiter versuchen, die Gondel vorne noch festzuhalten. Hilflos zappeln sie mit den Füßen in der Luft, im letzten Moment springen sie ab. Die aus dem Boden gerissene Ankeregge mit ihren 64 scharfen Zacken pflügt über die auf der Erde liegenden Menschen! Schmerzenschreie vermischen sich mit hilflos gebrüllten Befehlen und lauten Rufen der Verzweiflung und des Entsetzens. Weiter immer weiter und immer höher wird das Luftschiff nach Osten gedrückt. Die gerade noch ohnmächtig verharrende Menge läuft plötzlich los: Tausende Zuschauer, Soldaten, Gendarmen, Berittene, Automobilisten, Fuhrwerke, alles hetzt dem sich rasch in Richtung Bernhausen entfernenden Riesenungetüm hinterher. Als winziger schwarzer Punkt ist der eine Mann von der Besatzung zu erkennen, wie er über den Laufgang nach vorne hetzt, um noch irgendwie zu versuchen, die längst sicher scheinende Katastrophe abzuwenden. Dabei ist es doch nur noch eine Frage von Sekunden, bis sich das Luftschiff irgendwo in einem Baum oder einem Haus verfängt und 15.000 Kubikmeter Wasserstoff in einem gigantischen Feuerball explodieren werden! Der Mann ist dem Tode geweiht!
Da! Die Spitze des Schiffs senkt sich tiefer! Noch tiefer. Eine Baumreihe! Der Schiffskörper verfängt sich in einer Baumkrone, bleibt hängen. Für den Bruchteil eines Atemzugs geschieht überhaupt nichts. Dann ein kurzes scharfes Zischen, ein lauter Knall, eine Detonation. Die ersten Flammen schießen aus der Hülle. Eine zweite Detonation, gefolgt von einer dritten. Jetzt ist die Katastrophe eingetreten. Eine gewaltige Feuersäule schießt in den Himmel, ein einziges Inferno. Auf 136 Metern Länge frisst sich das Feuer durch die Baumwollhülle, wie Streichhölzer knicken die nackten Aluminiumträger ab, der Rauch wird erst grau, dann schwarz und schon nach wenigen Minuten ist das stolze Luftschiff nur noch Geschichte. Wie das verkohlte Skelett einer Rieseneidechse liegen die jämmerlichen Trümmer kreuz und quer auf dem verbrannten heißen Boden.
In sicherer Entfernung verharren die Menschen vor dem qualmenden Wrack und weinen. Die
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