Ferien mit Mama und andere Katastrophen
festhalten. Nur wusste man nie, wie lange die Kante hielt. Wahrscheinlich hatte Hekate Mitleid mit mir, als sie mich da zwischen Himmel und Erde zappeln sah. Zerschnittene Hände reichen ja auch, wird sie sich gedacht haben, als ich schließlich atemlos oberhalb des Felsvorsprunges hockte. Ich zitterte am ganzen Körper.
Von unten hörte ich Zadek jetzt brüllen: »Was machst du denn da, Sophie?«
»Einen Ausflug!«, brüllte ich zurück.
Nur noch wenige Meter trennten mich von der Küstenstraße. Los, Sophie, redete ich mir zu, das letzte Stück schaffst du auch noch. Ich winkte Zadek und kroch dann keuchend weiter.
Als ich endlich am Rand der staubigen Küstenstraße stand, drehte sich alles um mich. Mein weißer Bikini war völlig verdreckt, Hände und Füße zerschrammt, aber ich war glücklich. Zum Greifen nah tauchte jetzt auf dem Hügel gegenüber das Haus von Nikos’ Onkel auf. Ich gönnte mir keine Pause. Kaum zu glauben, dass ich noch Kraft hatte, zwischen den Olivenbäumen die Anhöhe hinaufzumarschieren.
Die ersten Zweifel an meinem kleinen Ausflug beschlichen mich, als ich in der Toreinfahrt stand und über den leeren Hof schaute. So, wie ich aussah, konnte ich doch nicht einfach an die Haustür klopfen und nach Nikos fragen, zumal ich sein Motorrad nirgendwo entdeckte.
Ich kauerte mich auf eine Holzkiste, denn meine Beine trugen mich keine Sekunde länger. Außerdem war mir schwindelig vor Hunger und Durst. Da fiel mein Blick auf den kleinen Hofladen. Vielleicht steckten sie ja alle im Laden? Langsam schleppte ich mich zu dem kleinen weißen Steinhaus hinüber und linste durch eines der Fenster. Es war aber niemand zu sehen.
Drinnen war es angenehm kühl. Ich stand auf einem kleinen bunten Flickenteppich und schaute mich um. Es gab ja nicht nur Öl hier, stellte ich fest. Es gab auch Ziegenkäse, eingelegte Oliven und Paprika, lange Reihen von Honiggläsern und getrocknete Gewürze, die von der Decke herabhingen. In den Holzregalen lagen riesige, duftende Brotlaibe und Schinken. Das Ganze beschwor einen absolut verführerischen Geruchsmix herauf. Ich versuchte erst gar nicht, dagegen anzukämpfen, denn wenn ich nicht bald etwas in den Magen bekam, drohte mir mein Verstand vollends mit Kündigung. Ich sah schon Sterne.
Nach einer Viertelstunde hatte ich mich einmal durch den ganzen Laden gekostet, und da ich ja nun wusste, was am besten schmeckte, startete ich gleich noch eine zweite Runde.
Der Honig passte prima zu dem frischen Weißbrot und eine Scheibe vom geräucherten Schinken danach nahm der prickelnden Thymiansüße ihre Schärfe. Der Orangensaft war auch nicht übel, doch der blaue Traubensaft schmeckte besser. Zum Schluss schnitt ich mir noch etwas von dem Block mit dem weißen Nugat ab, ich glaube, sie sagen auf Kreta Lokum zu dem Zeug, als plötzlich die Tür hinter mir aufging und jemand fürchterlich zu schreien anfing. Es war eine alte, schwarz gekleidete Frau, wie sie auf der Insel an jeder Straßenecke steht.
Vor Schreck ließ ich das lange Messer fallen, die Frau hörte aber überhaupt nicht mehr auf. Schließlich wurde die Tür vollends aufgerissen und der bärtige Kopf eines alten Griechen erschien. Wahrscheinlich hätte ich genauso geguckt, wenn ich mich da hätte stehen sehen, in einem weißen Bikini, der nicht mehr ganz so weiß war, lang und dünn, mit zerschrammten Knien und genüsslich Nugat kauend. Ich sah es seinem Gesicht förmlich an, wie er sich zu erinnern versuchte, wo er mich schon einmal gesehen hatte. Ich hätte es ihm sagen können. Doch wem hätte das genutzt?
Dafür war mein Verstand nach all der Stärkung umso flinker und befahl mir, sofort die Flucht anzutreten. Mit einem Satz war ich auf der kleinen Bank, sprang durch das angelehnte Fenster und rannte, was ich konnte, über den Hof und quer durch den Olivenhain davon. Hinter mir blieb alles still, doch ich rannte bis unten an die Straße. Vielleicht hatten sie ja einen Hund, das konnte man nicht wissen. Keine Sekunde länger hätte ich warten dürfen, denn dann wäre dem Frühstücks-Opa schon eingefallen, wer ihm da an seinen Honig gegangen war.
Wütend lief ich neben der heißen Küstenstraße her. Was für ein Ärger. Und alles umsonst! Ich hatte Nikos nicht einmal gesehen. Wahrscheinlich würde Kubasch mich jetzt eigenhändig bis zum Morgen unserer Abreise an mein Hotelbett fesseln. Wenn er mich denn zu fassen kriegte. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie ich zurück zum Hotel kommen sollte. Zadek
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