Ferien mit Patricia
in der Stadt oder gar...
Hier machten seine Gedanken halt, denn er sah plötzlich Lester Harrison vor sich, wie er an der Bar des Offiziersklubs stand, und hörte ihn sagen:
»Kameraden, solange ihr beisammen seid. Aber wenn’s vorüber ist, dann ist’s aus! Die meisten von ihnen sind hundertprozentig. Keine Tränen, keine Schererei. Bums, Schluß...«
Er warf einen verstohlenen Blick auf Pat. Sie war braungebrannt, und ihre grauen Augen leuchteten. Auch auf ihrem Haar lag ein neuer Glanz, diesem Haar, das sie im Nacken knotete und von dem er wußte, daß es so weich wie die feinste Seide war und so duftete wie die Blumen im Mai. Sie hatte sich in einem Hotelzimmer, das Jerry für sich genommen hatte, umgezogen und trug nun denselben Rock und die gleiche dunkle Seidenbluse wie damals, als er sie abholte. Wie abwesend blickte sie vor sich hin. Es gelang ihm nicht, sich vorzustellen, was sie wohl denken mochte.
Nachdem er für sie in einem Erster-Klasse-Abteil einen Platz gefunden hatte, stand er auf dem Bahnsteig und schaute zu ihr auf, als sie sich aus dem Fenster lehnte. Es blieben noch fünf Minuten bis zur Abfahrt des Zuges, und keiner wußte, was er dem andern noch sagen sollte.
Pat kämpfte tapfer gegen die Tränen an, die ihr in die Augen steigen wollten. Sie mußte sie unterdrücken, bis sie allein war, denn so hatte es Jerry ja gewünscht. Mit der Erinnerung an die unvergeßlichen Stunden voller Schönheit, die sie zusammen verbracht hatten, versuchte sie einen Damm gegen ihre Tränen aufzurichten. Gegen die Sehnsucht aber und das Gefühl der Einsamkeit, die ihrer warteten, vermochte die Erinnerung nichts, das wußte sie schon jetzt.
Um gegen ihren Kummer anzugehen, wandte sie sich der Wirklichkeit des düsteren Bahnhofs zu, mit seinem Lärm und seinen Gerüchen, alldem, das ihr von vielen Reisen vertraut war.
Dann schaute sie zu dem dunklen Jungen hinunter mit seiner zerdrückten Mütze hinten auf dem glänzenden Schopf, mit seinen jungen blauen Augen unter den dichten Brauen und dem fröhlichen, sorglosen Mund, zu diesem Jerry, der ein Stück ihres Herzens war und dessen Herzschlag sie gespürt hatte, dessen Wesen zu einem Teil ihrer selbst geworden war, dessen Körper sie hatte berühren können, wenn sie sich des Nachts zur Seite drehte und die Hand ausstreckte. Und jetzt redete sie sich ein, daß es ja nur irgendein Bekannter war, beinahe ein Fremder, der sie zur Bahn begleitet hatte...
Zum Abschied hatten sie sich auf dem Bahnsteig geküßt. Es war nur ein rascher Kuß und eine eilige Umarmung im Gedränge der Leute gewesen, die alle einen Platz im Wagen ergattern wollten, so daß dieser letzte Augenblick nicht schmerzte.
Jerry lächelte zu ihr hinauf und sagte: »Wir sehen uns wieder, wenn ich nach Kenwoulton zurückkomme.«
»Noch viel Vergnügen«, antwortete sie.
Dann knallten die Türen, und zweimal gellte eine Pfeife. Pat reichte Jerry die Hand, und sie hielt seine Hand fest in der ihren, bis sich der Zug in Bewegung setzte und sie trennte.
»Adieu, Pat...«
»Adieu, Jerry...«
Am Ende des Bahnsteigs ächzte und schnaufte die Lokomotive unter der Last der Wagen... »Hundertprozentig... hundertprozentig... hundertprozentig...« Die ratternden Räder drehten sich immer schneller und schneller und sagten immer rascher und rascher »Bums, aus, bums, aus, bums, aus...« Der Zug hatte den Bahnhof verlassen, und die Lokomotive, schon ganz weit vorn, pfiff klagend ein letztes Lebewohl: »Ich begreife ...«
Jerry wartete, bis der Bahnsteig ganz leer und der letzte Wagen verschwunden war. Dann seufzte er und dachte:
»Na, dann wär’s also soweit. Sie war doch ein feiner Kerl. Es wird mir noch merkwürdig Vorkommen, sie nun nicht mehr um mich zu haben.«
Es kam ihm wieder in den Sinn, was ihm Major Harrison gesagt hatte:
»Zum Teufel, man will doch nicht an denen hängenbleiben.«
Er setzte seine Mütze wieder auf und wanderte verstimmt den Weg zum Hotel zurück. Dort zögerte er einen Augenblick, ob er in sein Zimmer hinaufgehen solle. Er konnte sich das Gefühl nicht erklären, aber es war ihm, als ob sie oben auf ihn wartete. Er riß sich zusammen und ging zum Lift.
Es war ein ähnlich hohes und düsteres Zimmer, wie sie es die erste Nacht in Glasgow gehabt hatten. Er schloß die Tür, drehte das elektrische Licht an, und der Raum war so von ihrer Gegenwart erfüllt, daß er einen Augenblick dastand und vor sich hinstarrte, als könne er nicht glauben, daß sie nicht mehr da
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