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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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abergläubisch war. Viele sonst sehr kluge Menschen sind es. Stefenson fing an einem Freitag kein Geschäft an, es beunruhigte ihn, wenn eine Katze über seinen Weg lief, und er hatte immer ein altes Hufeisen auf seinem Schreibtisch liegen. Er stammte ja auch aus Amerika, wo der Aberglaube zu Hause ist. Jetzt fühlte er das Bedürfnis, sich ein wenig zu rechtfertigen, und sagte: »Es ist durchaus falsch, alle Hellseherei von vornherein als Unsinn zu erklären. Es können da Naturkräfte wirken, die wir nicht kennen.«
    »Gewiß - gewiß!«
    Er versank wieder in tiefe Traurigkeit.
    »Vor vier Tagen habe ich ihr einen Brief geschrieben, habe sie gebeten, sie möge doch von ihrem Groll ablassen. Wenn sie es schon gar nicht einsehen wolle, daß ein Mann, der sein ganzes Lebensschicksal an eine Frau ketten wolle, zu deren gründlichster Prüfung berechtigt sei, so solle sie halt denken, daß es mir doch auch keinen Spaß gemacht habe, mal in den Ferien vom Ich eine unerkannte Rolle zu spielen, und daß ich doch eigentlich als Knecht Ignaz um sie gedient habe wie Jakob um die geliebte Rahel. Sehen Sie, von diesem Brief glaubte ich, er sei eigentlich zu deutsch, zu sentimental. Aber es war mir so ums Herz, und so schickte ich ihn ab. Der Brief wird gerade zu ihrer Verlobung zurechtgekommen sein.«
    Es schüttelte ihn vor Schmerz und Zorn.

Der Fuchs und die Sibylle

    Es war Abend, als ich am Grundhof vorbeischlich und mich an der Reihe windbrüchiger Weiden, die am alten Waltersburger Weg stehen, hinab zum Hause der Sibylle schlängelte. Das kleine Anwesen sah schäbig und unordentlich aus. Die Tür stieß einen grämlichen Quieker aus, als ich eintrat. Der Hausflur war finster, aber in dem daranstoßenden Zimmer, dessen Fenster mit buntem Kattun verhängt waren, brannte eine kleine Lampe. Die »Sibylle« erhob sich und kam mir entgegen. Mit krummem Rücken, auf einen Stock gestützt, hob sie ihr verrunzeltes Gesicht, das in dem trüben Lichte der kleinen Lampe ganz gespenstisch aussah, zu mir empor. »Wird er kommen?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es; denn ich habe es ihm kräftig eingeredet. Ich gehe einstweilen in die Nebenstube und passe auf. Halten Sie sich genau an unsere Abmachungen.«
    »Jawohl!« nickte das Weib.
    Ich mußte eine Stunde lang warten und gab den Plan, den ich gefaßt hatte, beinahe auf. Noch zweimal hatte Stefenson heute von der Wahrsagerin angefangen, und ich hatte ihm einige sehr merkwürdige Fälle erzählt, in denen die Voraussagungen der Sibylle in verblüffender Weise eingetroffen waren. Nun kam er doch nicht. Schon wollte ich meinen Lauscherposten verlassen, da sah ich den alten Fuchs um die Wegkrümmung treten und vorsichtig umherspähen.
    »Er kommt!« sagte ich der Sibylle durch die Tür. »Nun machen Sie Ihre Sache gut.«
    Fünf Minuten später hörte ich nebenan Stefenson eintreten. »Guten Abend«, sagte er etwas verlegen. »Ich komme mal zu Ihnen. Sie brauchen sich deswegen nicht etwa einzubilden, daß ich auf Ihren Quatsch etwas gebe - aber ich habe von Ihnen gehört, und da will ich mal einen Versuch machen - der Wissenschaft halber, verstehen Sie?«
    Die Sibylle rührte sich nicht. Sie sah greulich aus. Die Gestalt war in ein geflicktes Umschlagetuch gehüllt, vor Stirn und Augen hatte sie einen grünen Lichtschirm, über dem der graue Scheitel struppig herausragte. Das alte Weib betrachtete ihre ausgebreiteten schmutzigen Karten und sagte kein Wort.
    »Nun?« mahnte Stefenson ungeduldig.
    Keine Antwort.
    »Ja, wollen Sie nun gefälligst mit mir sprechen?« brauste der Amerikaner auf.
    »Scheren Sie sich hinaus!« krächzte die Alte.
    »Wa-as?«
    »Hinausscheren sollen Sie sich!« wiederholte der häßliche Rabe.
    »Das ist stark!« sagte Stefenson verblüfft. »Nun bleibe ich natürlich hier!«
    Er schob sich den wackligen Stuhl, der an der Wand lehnte, zurecht und sah mit stoischer Ruhe zu, wie das alte Weib ihre Karten mischte und legte, ohne ihn auch nur im geringsten zu beachten. Ich vergnügte mich an meinem Guckloche königlich.
    Endlich stand Stefenson auf, legte auf die Tischkante eine Münze und sagte mit erzwungener Höflichkeit: »Madame, ich möchte gern durch Ihre Kunst meine Zukunft erfahren.«
    »Warten Sie!« schnarrte der Rabe.
    Und Stefenson wartete. Sibylle betrachtete indes unverwandt ihre Karten. Endlich schien sie fertig zu sein. Sie warf einen Blick auf das Geldstück und sagte: »Auf zwanzig Mark kann ich nicht herausgeben. Es kostet

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