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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Rohmaterialien. Wir haben gegenwärtig einen Feriengast, der draußen in der Welt eine Schar von Dienern hat. Auch er muß sich das Abendbrot zweimal in der Woche selbst bereiten. Anfangs wußte er nichts anderes, als daß er sich Brotstullen schnitt, die entsetzlich dick und krumm gerieten, die Stullen mit Butter beklebte und starke Wurstscheiben mit der Pelle darauf legte. Das nächste Mal hatte er schon erluchst, wie man Kartoffeln an einem kleinen Feldfeuerchen kocht, und hatte sich dazu einen Hering verschafft. Dann ergänzte er seine Mahlzeit, indem er Radieschen aus der Erde zupfte, Nüsse und Früchte von den Bäumen holte, und am vierten Abend, den er sich selbst bereitete, lud er einen Freund und eine Freundin ein, war sehr stolz auf sein Mahl und aß mit Genugtuung und Appetit. Das sind Kleinigkeiten, die vielleicht wie Spielerei aussehen, aber doch einen Sinn haben. So werden Sie sich z. B., wenn ein kühler Tag ist, das Feuer in Ihrem Ofen selbst anzünden und unterhalten müssen. Hobelspäne und Reisig können Sie sich leicht holen, das Holz müssen Sie selber hacken. Sie werden sehen, Mister John, wie warm und goldig solch ein selbstentzündetes Feuer brennt, viel wohliger, als wenn es ein Diener angefacht hätte. Ein volles Dutzendmal werden Sie die Kacheln abfühlen, wie sie nach und nach warm werden, mit einer heimlichen, stillen Freude im Herzen. Und wenn am Abend Sie ein paar andere Feriengäste besuchen, Leute, von denen Sie nicht wissen, wie sie eigentlich heißen, wer und woher sie sind, von denen nichts anderes bekannt ist, als daß es eben auch ernsthafte Menschen sind, die sich zu einer Ferienpause des Lebens aufgerafft haben - wie schön wird es sein, mit ihnen zu plaudern oder sich etwas zu erzählen und selbst auf das Feuer zu achten.
    Gute Kammermusik werden Sie manchmal zu hören bekommen; doch nicht oft und nicht viel. Aber zur Laute wird öfter gesungen werden, und manchmal wird irgendwo ein Bläserchor stehen, und es wird sein, als ob Soldaten in der Ferne marschierten, oder ein Waldhorn wird ins I al schallen wie in alten, romantischen Tagen.
    Sport dürfen Sie treiben: Reit- und Schwimmsport, Turnen im Luftbad, Tennis- und Kegelspielen. Auch Karten spielen dürfen Sie, aber ohne Geld; denn John hat keinen Pfennig in der Tasche, und wollte er sich mit seinen Gegnern verabreden, ein Kieselsteinchen bedeute zehn Mark und eine Eichel zwanzig, und würde alles hinterher in bare Münze sauber umgerechnet, so würde es wohl doch herauskommen, und das Spielernest würde energisch ausgenommen werden. Tabak und Alkohol, worum Sie sich in Ihrem Selbstbericht zu bangen scheinen, ganz nach ärztlichem Befund. Wenn Sie mich nun fragen, wie lange ein solcher Ferienaufenthalt währt, so muß ich Ihnen sagen, daß die kürzeste Frist sechs Wochen beträgt, daß es aber sehr viel günstiger ist, wenn die Ferienpause drei Monate oder noch länger dauert. Die ersten vierzehn Tage werden Sie ja doch innerlich gegen vieles revoltieren, vielleicht am Heimweh leiden nach der eben abgelegten alten Haut. Sie müssen erst heimisch werden, müssen das große Ferienglück erst ganz fühlen, müssen die unaussprechlich süße Freude empfinden, wie Sie gesünder und fröhlicher werden, dann erst kommt das Heil. Aber wenn Sie dann in die große, schwere Schule zurückgehen, werden Sie mehr neue Kräfte, einen größeren Mut zum Leben mitnehmen, als wenn Sie unterdes Mineralwasser getrunken, Reunions besucht und hundert Zeitungen gelesen hätten. Mit einem Wort: Sie werden an die Ferien denken, wie ein Kind an die freie Spielwiese denkt, wenn es wieder in der Etagenwohnung der Großstadt hinter seinen Aufgabenbüchern sitzt.<
    Mit diesen Worten endete der Arzt, der mit seinem neuen Patienten vor der Tür des Einsiedlerhäuschens saß, seine Belehrung, und damit ende auch ich, Mister Stefenson, den Aufschluß über das Ferienheim des Lebens, das nur in meiner Phantasie lebt und wohl auch immer dort leben wird.« -Ich schwieg, und der Mann, der mir gegenüber am Gasthaustisch saß, schwieg auch. Er hatte die ganze Zeit, während der ich sprach, mit halbabgewandtem Kopfe dagesessen und hinunter nach Neustadt gesehen. Endlich stand Stefenson auf, nickte kurz mit dem Kopf, sagte: »Danke sehr! Guten Abend!«, nahm seinen Hut und ging aus der Stube, nachdem er den Kellner bezahlt hatte. Ich ließ ihn gehen.

    Am nächsten Tage ließ sich Mister Stefenson bei mir in Waltersburg melden.
    »Guten Morgen«, sagte er; »ich

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