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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Schindern ins Elend wollte es zurück, weil es dort zu Hause war. Vor Stefenson und mir fürchtete sich die Kleine, auch vor der fremden Schwester scheute sie sich. Ich wollte sie streicheln, aber sie wich mir aus und duckte sich. Das arme Ding hat wohl in seinem Leben schon viel Prügel bekommen. Ich sagte freundlich zu ihr: »Luise, fürchte dich doch nicht. Sieh mal, ich meine es gut mit dir, ich bin ja mit dir verwandt; ich bin dein Onkel.« Sie sah scheu an dem fremden Mann empor, der ihr wohl zu vornehm erschien, um mit ihr verwandt zu sein. Ob sie einen Vater oder eine Mutter oder eine Großmutter habe wie andere Kinder, danach fragte sie nicht. Es war auch besser; denn ich hätte ihr sagen müssen: »Nein, das hast du alles nicht; du hast nur einen Onkel.« Während ich mir noch vergeblich Mühe gab, ein klein wenig das Zutrauen von Luise zu gewinnen, erschien Stefenson mit einem Diener, der ein großes Paket schleppte. Das Paket legte der Amerikaner vor dem Kinde auf den Tisch und sagte: »So, da habe ich dir ein bißchen Spielkram gekauft!« Es war eine kleine Weihnachtsausstellung von allerhand Spielzeug: Puppen, eine kleine Wiege, Hampelmänner, Kreisel, Schachteln mit geschnitzten Tieren, Baukasten und viele Kleinigkeiten. Sogar eine Knallpistole war dabei. Dem Kinde entfuhr ein kleiner Schrei seligen Erschreckens, es erhob die Händchen, tastete schüchtern nach einer Puppe, zuckte aber zurück. Da fuhr sie Stefenson an: »Nun, du kleine Gans, so greif doch zu! Das ist alles dein. Das mußt du nehmen. Damit mußt du spielen, sonst setzt es was ab!«
    Auf diesen rauhen Ton war Luise offenbar gut eingerichtet. Sie fing gehorsam an zu spielen. Nach fünf Minuten kam ein leises Lachen, das Gesichtchen erhellte sich, und ich sah noch deutlicher als gestern beim ersten schreckhaften Begegnen in Joachims Züge, sah in Joachims Augen. Ich erinnere mich nicht, je ein kleines Mädchen gesehen zu haben, das so auffallend dem Bilde ihres Vaters glich, wie Luise meinem Bruder ähnlich ist. Wir hatten vielerlei in Berlin zu tun und blieben acht Tage dort. Am fünften Tage kam Stefenson in mein Zimmer und sagte:
    »Jetzt hat mich das Balg gefragt, wenn Sie ihr Onkel wären, ob ich vielleicht ihr Vater sei? Nu nee, du kleine Gans, hab’ ich gesagt, das fällt mir gar nicht ein, dein Vater zu sein. Na, sie heulte gleich, und da hab’ ich denn gesagt, ich bin ihr Stiefvater. Damit war sie ganz zufrieden.«
    Ich wußte schon, daß Luise in großer Liebe und Dankbarkeit an Stefenson hing. Seine rauhe, kurze Art schreckte sie nicht, und seine Fürsorge tat ihr wohl.
    So war der Abschied nach acht Tagen, als Luise nach Thüringen fahren und wir nach Waltersburg zurückkehren mußten, schmerzlich für das Kind. Nur der Abschied von Stefenson, nicht der von mir, obwohl sich Luise auch zu mir ganz freundlich gestellt hatte.
    Als wir im Eisenbahnwagen saßen, sagte Stefenson: »Die Gefühlsduselei mit dem Kinde hört nun auf. Dazu haben wir keine Zeit.«
    Ich nickte ihm zu und schwieg. Als ich nach Hause kam, trat mir die Mutter mit fragenden Augen entgegen.
    »Ich habe das Kind in saubere Verhältnisse gebracht«, sagte ich ihr und ging in mein Zimmer. Die Mutter fragte nicht mehr, und ich erzählte nichts. Wir fühlten beide, wie sich eine eiskalte Wand zwischen uns aufrichtete. Nach drei Tagen sagte die Mutter, Joachim habe geschrieben, es gehe ihm gut. Mir war dabei, als ob sie von einem fremden Menschen erzählte, dessen Schicksal mich nichts angehe.

    Die Zeichnungen, der Aufbau meines großen Ferienheims nahmen mich fortan ganz in Anspruch. Ich kann sagen, es waren reine Glückstage. Tage voll Fruchtbarkeit, Hoffnung, Kraftgefühl. Und doch stahl sich Luises Bild bei Tag und Nacht in meine Seele. So sagte ich mir eines Morgens, an drei verlorenen Arbeitstagen läge nicht viel, Stefenson säße sicher weit unten in Palermo oder Syrakus, und sehr bald nach diesen Erwägungen saß ich in einem Schnellzug nach Thüringen.
    Ich hatte die Freude, daß mir Luise vertrauensvoll und dankbar entgegenkam und daß sie sich schüchtern an mich schmiegte, als ich sie auf die Stirn küßte.
    Die würdige Vorsteherin des Pensionats sagte, es sei ja wohl noch zu kurze Zeit, als daß das Kind sich schon in ihm völlig fremde Kultur ganz hätte fügen können; aber Luise zeige so gute körperliche und geistige Anlagen, daß sie hoffe, das Kind würde mir recht bald Freude bereiten. Die Anstalt lag an der Promenade der hübschen

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