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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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thüringischen Stadt. Als ich das Haus verließ, saß gegenüber dem Eingang auf einer Ruhebank Mister Stefenson. Es blieb mir gar keine Zeit, mich groß zu erstaunen, sondern er trat mir gleich entgegen und sagte mürrisch:
    »Ich finde das sehr merkwürdig von Ihnen, daß Sie auch jetzt noch Zeit zu solchen Exkursionen haben.«
    »Ach, Mister Stefenson«, entgegnete ich heiter, »ich dachte, Sie wären Ihrerseits noch auf Ihrer Exkursion nach Sizilien.«
    »Sticheln Sie nicht«, entgegnete er finster, »ich bin nicht nach Sizilien gefahren zum Amüsement oder um einem kleinen Gänschen nachzureisen, sondern um in aller Ruhe die Pläne für unser Ferienheim machen zu können. Wenn ich nun Pech gehabt habe mit den drei Plänen, die ich gemacht habe, weil ich den ersten in Palermo zerrissen, den zweiten in Modena verbrannt und den dritten in Luzern überhaupt nicht erst angefangen habe, so hatte ich doch gehofft, Sie würden inzwischen Gewissen genug haben, zu Hause zu bleiben und zu arbeiten.«
    »Hab’ ich auch, Mister Stefenson! Mein Plan ist fertig.«
    »Ah - das ist gut. Wieviel kostet er? Wie balanciert er?«
    »Was er kostet, wie er balanciert, weiß ich nicht. Das ist nicht meine Sache. Ich bin kein Kaufmann. Wofür sind Sie da?«
    »Fürs Geldgeben!«
    Er schüttelte melancholisch den Kopf.
    »Ihr Plan ist unrentabel«, sagte er düster.
    »Mister Stefenson, ich will Ihnen einen alten deutschen Witz erzählen. Ein Schlächter kam in eine kleine Wirtschaft, um eine Kuh zu kaufen. Der Bauer führte ihn nach dem Stalle. Sie kamen in einen ganz dunklen Raum. Da sagte der Schlächter: >Aber Mensch, wie kann ich Ihnen für ein so elendes Tier so viel Geld geben, wie Sie verlangen?< - >Sachte<, sagte der Bauer, >das hier ist nur der Rübenraum, die Kuh steht erst hinter der nächsten Tür.<«
    »Was gehen mich Ihre verdammten deutschen Witze an?« grollte Stefenson.
    »Fahren wir erst nach Hause«, entgegnete ich. »Und vorher können Sie ja mal die kleine Luise besuchen. Sie macht sich heraus.«
    »Das fällt mir nicht ein«, sagte Stefenson kalt. »Ich hasse diese deutsche Sentimentalität.«
    So fuhren wir nach Hause. Ich übergab Stefenson meine Zeichnungen und schriftlichen Ausführungen. Er nahm sie mit nach Neustadt, wo er immer noch in einem Hotel wohnte. Nach fünf Tagen suchte ich ihn zu sprechen. Es hieß, Mister Stefenson sei verreist. Eine Viertelstunde etwa dachte ich darüber nach, wohin Stefenson wohl sein könnte. Dann telegraphierte ich an die Vorsteherin des Instituts in Thüringen: »Ist Mister Stefenson noch dort?«
    Am Abend kam die Antwort:
    »Stefenson war hier, ist aber eben zurückgereist.«
    Darauf machte ich mir das Vergnügen, zum Neustädter Bahnhof zu gehen und den Zug zu belauern, von dem ich vermutete, daß er Herrn Stefenson mitführen würde. Ich hatte den Zeitpunkt ganz richtig aus dem Kursbuch festgestellt.
    Als Stefenson die Bahnsperre passierte, trat ich ihm plötzlich entgegen, und er war nicht weniger erschrocken als ich, da ich ihn plötzlich auf der Promenadenbank in Thüringen traf. »Guten Abend, Mister Stefenson«, sagte ich, »wie geht es der kleinen Luise?«
    »Wieso - wieso - Luise - was geht mich das Gänschen an?« versuchte er sich herauszulügen.
    Ich blickte ihn freundlich an und sagte:
    »Die Frau Vorsteherin, die ich eben telegraphisch anfragte, sagte mir, daß Sie dort waren.«
    Da hustete er.
    »Wissen Sie was«, sagte er zornig, »es ist nicht schön, daß Sie mir nachspionieren. Was geht mich das Gänschen an? Aber da Sie schon mal so ein Spion sind, will ich Ihnen sagen, ich kann für diese Schwäche nichts. Meine Mutter war eine Deutsche.«

Vorarbeiten

    Es ist ein halbes Jahr her, seit ich die letzte Eintragung in mein Tagebuch machte. Im Mai war es, als Stefenson erschnoben hatte, daß ich ein Tagebuch führe und darin manches über den Ausbau unseres Ferienheims, aber auch über seine eigene Person niedergeschrieben habe. Seit der Zeit quälte er mich, ihm das Tagebuch einmal zur Lektüre zu überlassen. Er war neugierig wie ein Backfisch, und es nützten mich alle Versuche nichts, ihm klarzumachen, daß es -gelinde gesagt - sehr indiskret sei, Einblick in ein fremdes Tagebuch zu verlangen. Es dauerte so lange, bis er die Aufzeichnungen in Händen hatte. Dieser Mensch ist ein ganz wunderliches Gemisch von Kindlichkeit und halsstarriger Energie.
    Nach drei Tagen gab mir Stefenson das Tagebuch zurück und sagte, indem er ein sauersüßes Lächeln

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