Ferien vom Ich
sein. Der Bürgermeister wird darin wohnen; denn einen solchen wird uns wohl das Gesetz auferlegen; aber auch die Sprechzimmer der Arzte sollen im Rathaus untergebracht sein, ebenso die Verwaltungsräume, die Kasse, die Nachtwächterstuben. Auch einen großen, ehrwürdigen Saal soll das Rathaus haben, in den die Feriengäste manchmal zu einer Feierstunde nationaler, künstlerischer oder geselliger Art geladen werden. In diesem Rathaus wird auch das »verbotene Zimmer« mit den Zeitungen sein. Ein Posten wird davor Wache halten und nur diejenigen einlassen, die eine Karte vorzeigen, und eine solche Karte wird jedem während der Dauer des Ferienaufenthalts nur zweimal gewährt werden.
Das Rathaus wird am Lindenplatz liegen, dort, wo die große Linde mitten auf der Wiese steht. So oft auch die Dichter vom Platz unter der Linde und vom Tanz mit dem schönen Kinde und dem Traum im Abendwinde gesungen haben, mir ist die alte Weise nicht zu abgeleiert, ich will das fröhliche Glück vergangener Tage neu erstehen lassen.
Am Lindenplatz, dem Rathaus gegenüber, soll die Lindenherberge liegen, unser größtes Gasthaus. Das Modell muß man in schönen deutschen Städten suchen, etwa in Rothenburg, Goslar, Wernigerode oder Hildesheim, und dann ist es für unsere Zwecke auszugestalten. Eine Bauernschenke denke ich mir, ein Herrenstübchen, einen Poetenwinkel mit Butzenscheiben, wo Lieder zur Laute gesunden werden. Öfter als einmal in der Woche darf sich niemand in einer der drei Stuben sehen lassen; denn dreimal in der Woche ins Gasthaus zu gehen, ist fürwahr genug für einen Kurgast. Es darf sich auch keiner einbilden, daß er etwa nur Bauer oder nur Herr oder nur Sänger zur Klampfe sei - er muß alles sein wollen und sein können, und wenn er dreimal in der Woche »ausgehen« will, dann muß er eben jedesmal in eine andere Abteilung, und das Braunbier, das in der Bauernschänke ein biederer Wirt mit seiner Gattin verschänkt, muß ihm ebenso munden wie der Wein, den ein schönes Mädchen im Poetenwinkel kredenzt. Ein Kaffeehaus werden wir auch haben; denn sonst bekämen wir keinen österreichischen Kurgast. In diesem Kaffeehaus wird alles zu haben sein, was ein Wiener Kaffeehaus auszeichnet, von der drangvollen Fülle bis zum Zigarettendampf, nur keine Zeitungen.
Vielleicht wird mir mancher ob meiner großen Toleranz gegen Tabak und selbst gegen Alkohol zürnen, aber ich sorge dafür, daß alles im Lot bleibt. Da in den Wirtschaftsräumen umsonst nichts geschänkt wird, da aber auch keiner der Gäste einen Pfennig Geld in der Tasche hat, sind alle genötigt, ihre Zeche recht schön und breit an die schwarze Tafel ankreiden zu lassen, und das gibt nicht nur eine gute Selbstkontrolle, sondern garantiert auch eine gewisse öffentliche Aufsicht. Alle aber, denen der ärztliche Befund solche Genüsse verbietet, können sich unten am Fluß in der Fischerklause, dem zweiten Gasthaus, bei alkoholfreiem Getränk des Lebens freuen, und es stehen auch verschiedene Selter- und Milchhäuslein im Gelände, alle bedient von dazu verordneten Damen aus der Kurgesellschaft. Denn das ist eine wesentliche Seite meines Gesundungsheimes, daß alle Kurgäste, soweit es ihr Zustand erlaubt und wünschenswert erscheinen läßt, arbeiten müssen. Aus faulem Nichtstun sproß noch in den allerseltensten Fällen ein Heil. Nein, es werden alle Mitglieder unserer Gemeinde tätig sein, und dadurch werden sich auch die Kosten vermindern, zu denen der einzelne beizutragen hat. Daß ein guter Bestand geübten Personals immer da sein muß, ist selbstverständlich. Aber, wenn ich z. B. für den Poetenwinkel drei Kellnerinnen brauche, wird eine, die aufsichtführende und bestimmende, eine Berufskellnerin, die zwei Helferinnen werden Damen aus der Kurgesellschaft sein, und es wird mich gar nicht beirren, einer jungen Gräfin solchen Schankdienst auf eine Woche aufzuerlegen. Wem es nicht paßt, der geht! Wir werden alle unsere Gäste mit Liebe und Hochachtung behandeln, aber keinen umdienern und keinen anzulocken oder zu halten suchen. Wir werden mit dem Phlegma der Starken allen Widerständen begegnen. Jeder Kurgast wird sich wöchentlich mindestens einmal dem Arzt vorstellen und neben sonstiger Kurverordnung die Arbeit vorgeschrieben erhalten, die er in nächster Woche zu leisten hat. Die Verwaltung wird dem Ärztekollegium rechtzeitig mitteilen: Wir brauchen für nächste Woche fünfundvierzig landwirtschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen, sechzehn
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