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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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wenn sie ihre wirkliche Persönlichkeit dafür einsetzen müßten.«
    »Ach ja«, seufzte Eva Bunkert, »die gröbsten und rücksichtslosesten Rezensenten sind die anonymen oder pseudonymen.«
    »Der Friede dieses Ortes wird alle Schärfe mildern, wird aus der Rücksichtslosigkeit wohltuende Offenheit, aus ätzender Grobheit klare Wahrheit werden lassen.«
    »Sie meinen es gut mit den Menschen«, sagte gerührt die kleine Anneliese und sah mich mit ihren großen braunen Augen dankbar an.
    Ich aber - ich weiß nicht, warum - schaute nach der schönen Blonden hin. Ich glaube, ich erwartete eine neue Bemerkung von ihr. Aber sie schwieg.
    Die Mädchen blieben im Forellenhofe.
    Ich habe vor Monatsfrist im Rathaus Quartier bezogen. Lange schaute ich auf den Lindenplatz hinab. Der Mondschein spielte um den alten Baum. Ich dachte an vielerlei, viel an Eva Bunkert, aber noch mehr grübelte ich über der Frage: War er’s? War er’s nicht?
    Am übernächsten Morgen erhielt ich zwei Briefe, die ganz dieselbe Handschrift aufwiesen. Der eine Brief war von Stefenson und kam aus Milwaukee; er enthielt allerhand geschäftliche Weisungen sowie die Mitteilung, daß er, Stefenson, wahrscheinlich erst im Sommer nach Europa zurückkehren könne. Der andere Brief war von Mister Brown, trug den Poststempel Hamburg und meldete, daß der Journalist im Begriff stehe, nach Amerika zurückzukehren, sich noch einmal für die freundliche Aufnahme bedanke und inzwischen unseren Prospekt mit Interesse gelesen habe.
    Ich verglich die beiden Briefe wieder und wieder. Die Schriftzeichen glichen sich außerordentlich. Hätte man je einen der großen, geschwungenen Buchstaben aus den Briefen ausgeschnitten, man hätte eine Kongruenz feststellen können.
    Da sagte ich, der Erfinder der Idee von den Ferien vom Ich, zu mir selbst:
    »Ach, es ist doch gut, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat!«

Die ersten Kurgäste

    Am 1. Mai ist unsere Heilanstalt eröffnet worden. Die Feier war schlicht. Lehrer Herder hatte es sich nicht nehmen lassen, wieder ein Melodram zu dichten, zu komponieren und zu inszenieren. Das Publikum bestand aus Waltersburgern, unseren Bauern, deren Dienstleuten, unserem Personal und fünfzehn Kurgästen. Von diesen fünfzehn Kurgästen genießen zehn Freikur, und von diesen zehn sind sieben Schauspieler ohne Sommerengagement. Stefenson sandte ein längeres Glückwunschtelegramm aus St. Louis.
    Fünfzehn Kurgäste! Das war ein magerer Anfang nach der starken Reklame, die wir gemacht hatten. Ich telegraphierte das klägliche Ergebnis nach Amerika und erhielt von Stefenson die Antwort: »Hatte ich mir gedacht!«
    Wir beschlossen, die Leute nicht einzeln über die Höfe zu verstreuen, sondern einen Teil in den Forellenhof, einen anderen in die Waldschölzerei zu geben. Die Schauspieler aber schwärmten nicht für Feld- und Waldarbeit; sie wünschten mehr dekorative Posten. Fünf von den sieben wollten Nachtwächter sein, einer bot sich als Hilfsbriefträger an, wobei seine Tätigkeit gleich Null gewesen wäre, und einer sagte mit mildem Augenaufschlag, er könne sich nur als Krankenpfleger glücklich fühlen. Wir hatten aber keine Kranken.
    Da stellte der Bauer Emil Barthel vom Forellenhof neben dem Großknecht, den er bereits hatte, den »langen Ignaz«, noch einen zweiten Knecht ein und sagte zu mir: »Ich hab’ es Ihn’n gesagt, Herr Doktor, de Stadtleute sein olle faule Luder. Mit den is nischt anzufangen.«
    »Geduld, Barthel, Geduld!«
    Der Anfang war wirklich kläglich. Zwar sang Egin Harold, der als Nachtwächter bestellt worden (und der in seinem Privatberuf Opernsänger war), das

»Hört, Ihr Herr’n und laßt euch sagen,
Die Uhr hat eben zehn geschlagen!«

    mit tremolierender Empfindsamkeit; aber um Mitternacht sang er noch viel empfindsamer vor dem Hofe des Sonnenbauern, der eine hübsche blonde Magd hatte: »Gute Nacht, du mein herziges Kind!«, um 1 Uhr droben am Hange: »Ihr lichten Sterne habt gebracht so manchem Herzen schon hienieden . . .«; um 2 Uhr: »Steh’ ich in finstr’rer Mitternacht«, und von 3 Uhr an: »Morgenlicht, leuchtend im rosigen Schein . . .«
    Die benachbarten Hofhunde wurden ob dieser Gesänge so tief ergriffen, daß sie alle mitsangen, und alsbald lag auf dem Rathaus eine Beschwerde über den Nachtwächter wegen nächtlicher Ruhestörung. Als nun Egin Harold von dem unmusikalischen Sonnenhofbauern noch gar angedroht bekam, er werde den Hofhund loslassen, wenn der Wächter sein Gesinge vor

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