Ferien vom Ich
Ähnlichkeit zwischen mir und Stefenson hat noch niemand herausgefunden. Ich bin Ihnen übrigens für die gute Absicht, mir etwas Angenehmes sagen zu wollen, sehr verbunden.«
Er schaute mich an, und ich blickte in ein stockfremdes Gesicht. Auch glaubte ich trotz des Abenddämmerns genau feststellen zu können, daß dieser Bart nicht angeklebt, daß diese Haare keine Perücke seien. So wurde ich an meiner Entdeckung irre, und da ich einen zweiten Hineinfall nicht erleben wollte, sagte ich: »Gott, man kann sich täuschen!« Da blieb er stehen, sah mich an und sagte:
»Sie haben mich wohl gar für Stefenson selbst gehalten, der Ihnen in einer Ferienmaske was vormimt? Dem alten Knaben wäre ein solcher Streich zuzumuten, he?«
»Aber nein - aber nein! So ähnlich sind Sie ihm nun doch nicht.«
»Nun, möglich ist alles auf der Welt. Hauptsächlich bei Ferien vom Ich!« sagte Brown vergnügt.
Und er lachte. Es war ein fremdes Lachen.
Unterwegs begegnete uns ein Telegraphenbote. Er überreichte mir ein Kabeltelegramm, das aus Milwaukee kam und lautete: »Verbindung mit X-Bankverein gelöst; weitere Zahlungen durch Dresdner Bank. Stefenson.«
Die Verhandlungen, von dem Bankverein, mit dem wir bis jetzt gearbeitet hatten, zur Dresdner Bank überzugehen, schwebten schon einige Zeit, und dieses Telegramm belehrte mich nun, daß Stefenson in Milwaukee und nicht in Waltersburg war. Meine Phantasie hatte mir wieder einmal einen Streich gespielt. . .
Während ich den Telegraphenboten abfertigte und das Telegramm las, war Mister Brown den Mädchen nachgegangen, hatte die kleine Luise an den Händen gefaßt und tanzte mit ihr »Ringel-Ringel-Reihen«. Die lange Schlottergestalt nahm sich dabei merkwürdig genug aus, das Kind jauchzte, kam fast außer Atem, schlug zum Schluß entzückt in die Händchen und sagte: »Er tanzt genau so schön wie Papa!«
»Alle Amerikaner tanzen so schön, mein Mäuschen«, sagte Brown und küßte das Kind auf die Stirn. Dann zog er die Uhr und sagte:
»Der Zug, mit dem ich zurückfahren wollte, ist ja nun längst fort. Sie waren so liebenswürdig, mich sehr lange dazubehalten. Den nächsten Zug aber darf ich nicht versäumen. Ich muß morgen in Berlin und übermorgen in Hamburg sein. Mein diesmaliges europäisches Gastspiel ist aus.«
»Sie haben nur den kleinsten Teil unserer Siedlung gesehen, Mister Brown.«
»Oh - ich habe genug gesehen. Den Geist - den Kern! Ich bitte Sie, mir Ihren ausführlichen Prospekt mitzugeben. Daraus werde ich mich informieren, und Sie werden sehen, daß ich am treffendsten das kritisieren werde, was ich nicht gesehen habe.« Am Rathausplatz trennte er sich von uns. Ein Angestellter geleitete ihn zur Pforte, wo sein Wagen hielt. Eva Bunkert sah ihm lange nach.
»Es ist merkwürdig«, sagte sie, »er hat mich ungeheuer an Stefenson erinnert.«
»O nein«, meinte die kleine, harmlose Anneliese, »Mister Stefenson ist doch ganz anders, viel jünger und auch viel hübscher.«
»Trotzdem! Was meinen Sie, Doktor?«
Ich zuckte die Achseln.
»Die Amerikaner haben alle dieselbe Art, sich zu geben.«
»Das trifft es nicht«, sagte Eva nachdenklich. Und auch ich geriet wieder ins Grübeln.
»Ich glaube, es ist immer etwas unheimlich, wenn man nicht weiß, mit wem man spricht. Aber das wird ja in Ihrem Heim immer so sein, die Leute werden nie wissen, mit wem sie sprechen. Werden sie da nicht vorsichtig, ängstlich, unsicher werden?«
»Gewiß nicht. Gesetzt den Fall, dieser Mister Brown sei der verkappte Mister Stefenson gewesen, wie es ja tatsächlich den Anschein hatte . . .«
»Um Gottes willen, Sie glauben das doch nicht etwa?« rief Eva erschreckt. »Und ich hätte dann so - so - von Stefenson gesprochen . . .«
»Aber nein! Stefenson ist in Milwaukee. Hier ist ein Telegramm, das er heute früh dort an mich aufgab.«
»Gott sei Dank!«
»Ich wollte nur unsere Idee des Unerkanntseins in unserem Ferienheim verteidigen. Sehen Sie, wenn Mister Brown der maskierte Stefenson gewesen wäre, wäre die Partie unehrlich gewesen. Wir hätten ihn nicht erkannt, wohl aber er uns. In unserem Heim wird das ganz anders sein. Keiner wird den andern kennen. Da wird keine Befangenheit, keine Ängstlichkeit, sondern ein Mut zur Offenherzigkeit sein, der unerhört ist in der Welt. Die Menschen werden Wahrheiten hören, die sie niemals vernähmen, wenn sie ihren Namen und Stand sagten, sie werden aber auch ihre Meinung sagen dürfen in einer Weise, die niemals möglich wäre,
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